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Ein Gongmann und die Madonna der sieben Monde

Ein muskulöser Mann mit freiem Oberkörper schlägt in zeitlupenhaftem Tempo auf einen gewaltigen Gong; mit diesem „Haudrauf“ werden die Zuschauer im Kino in Spannung und Erwartung versetzt. Der Nackte ist das lebende Firmenzeichen eines britischen Filmverleihers. Die Wirkung auf das Publikum im Saal ist beachtlich; nur der brüllende MGM-Löwe und die Suchscheinwerfer von Century-Fox aus dem fernen Hollywood sind ähnlich beeindruckend, wobei allerdings die am Himmel umherirrenden Fox-Lichtkegel in fataler Weise an die Bombennächte bei alliierten Luftangriffen erinnern.

Als ich dieser Tage in einem Bücherkatalog eine DVD-Annonce des englischer Spielfilms Die Madonna der sieben Monde entdeckte, erinnerte ich mich lebhaft an die Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1949, als in den damaligen Westzonen viele schwülstige Melodramen aus England in die gerade wieder in Betrieb gehenden deutschen Kinos kamen. Die meisten dieser Streifen wurden von ein gewissen Sir Arthur Rank verliehen, einem britischen Geschäftsmann, der mit einem Mischkonzern zu Geld gekommen war, und sich im England jener Jahre außerdem mit Produktion, Verleih und Lichtspielhäusern ein Kino-Imperium aufgebaut hatte. Seine Film-Dominanz reichte nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die westlichen Besatzungszonen, und beeinflusste auch junge Kinogänger wie mich…

Die britischen Darsteller, obwohl damals hierzulande meist unbekannt, waren schnell beliebt und die bekanntesten Schauspieler jener Jahre waren James Mason, Margaret Lockwood, Phyllis Calvert, Stewart Granger, Jean Kent und Patricia Roc. James Mason und Stewart Granger wurden später in den USA zu Stars, Granger spielte in den Sechziger Jahren auch in deutschen Karl-May-Filmen. Eine der großen britischen Produktionsfirmen waren die Gainsborough Studios, heute sind sie längst abgerissen, ein Wohnviertel ziert inzwischen die Gegend in London, in der Kinogeschichte geschrieben wurde.

Mann und Rank-Gong. (Foto: imago/United Archives International)

In Frankfurter Kinos flimmerten in dieser Zeit viele Filme des Rank-Verleihs über die Leinwände. Der Herr in Grau (Lockwood, Calvert, Mason, Granger) waren ebenso zu sehen wie Gaslicht und Schatten (Calvert, Mason, Granger) und die Die Frau ohne Herz (Lockwood, Mason). 

Die Geiger-Biografie Paganini (Calvert, Granger) und Gefährliche Reise (Granger, Kent) wurden gespielt, auch die Cornwall Rhapsodie (Lockwood, Granger), eine Art Rosamunde Pilcher der damaligen Zeit, fand den Weg in die Kinos. Der kassenträchtigste englische Film war damals Die Madonna der sieben Monde (Granger, Calvert), ein Melodrama um eine Frau, die nach einer Vergewaltigung an einer Bewusstseinsspaltung leidet und aus gut bürgerlichen Verhältnissen immer wieder in die Arme eines Abenteurers flüchtet. Neben Phyllis Calvert und Stewart Granger war noch Jean Kent in einer Nebenrolle zu sehen.

Obwohl die meisten dieser englischen Streifen qualitätsmäßig am unteren Ende einer fiktiven Skala einzureihen gewesen wären, erlaubten sie doch einen Blick in eine andere Kinowelt als in Deutschland zu jener Zeit gewohnt. Auch diese Filme haben, trotz viele Vorbehalte, meine Lust aufs Kino erst geweckt.