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Der Duft der Provence oder Birnenkuchen mit Lavendel

Französische Komödien, die in jüngster Vergangenheit den Weg in die deutschen Kinos oder auf die Bildschirme fanden, üben auf mich (im Gegensatz zu Produktionen anderer Herkunft) einen wunderbar intimen Reiz aus und bringen mir auf neue Art das Leben in unserem Nachbarland nahe. Zu diesen von mir geschätzten Filmen zählen „Willkommen bei den Sch’tis“ (2008), „Ziemlich beste Freunde“ (2011), „Monsieur Claude und seine Töchter“ (2014)“, „Monsieur Claude 2″ (2019). Die Liste ist unvollständig, gibt es doch viele andere Filme mit hohem Unterhaltungswert. Einen möchte ich besonders hervorheben: Birnenkuchen mit Lavendel (2015). Die romantische Komödie mit ihrer Mischung aus heiteren und ernsten Tönen entführt die Zuschauer „in eine Welt kleiner Wunder: gefüllt mit dem Duft der Birnen der Provence“, wie der Verleih „Neue Visionen“ in seiner Beschreibung wissen lässt.

Versetzt in eine südfranzösische Landschaft mit endlos scheinenden, blühenden Lavendelbüschen, versinke ich in der Buntheit eines Gemäldes, das zunächst ein wenig kitschig anmutet; doch ein zweiter Blick auf die nebenan liegende Birnenplantage zeigt mir schnell, das an diesem traumhaft unwirklichen Ort hart gearbeitet werden muss. Die Sanftheit, die sich über das eigene Gemüt zu legen beginnt, wird durch harte Realitäten vertrieben. Ich sehe die Obstbäuerin Louise Legrand (Virginie Efira) in diesem „Paradies“ umgeben von vielen Sorgen; die junge Witwe (ihren Kindern Emma und Félix eine gute Mutter) bewirtschaftet den Hof mit Müh’ und Not, Existenznöte drücken sie, es fehlt an allen Ecken und Enden an Geld…

Von der Bank erhält Louise keinen Kredit mehr. Auf der Heimfahrt erfasst sie mit dem Auto, frustriert und den Kopf voller Sorgen und unaufmerksam, einen jungen Mann namens Pierre. Louise versorgt seine Schrammen in ihren nahe gelegenen Haus. Der Verletzte beginnt sich in ihrem Haus sichtlich wohl zu fühlen: wie selbstverständlich nimmt der „Besitz“ von der Wohnung, dabei immer peinlich korrekt, ein wenig steif in der Haltung, zweifellos ein Eigenbrötler und ein geheimnisvoller Mensch, wie es Louise scheint. Pierre jongliert gerne mit Primzahlen und betätigt sich als Internet-Hacker, entdeckt auch betrügerische Machenschaften, die Louises Pleite verhindern, unterstützt Louise bald beim Verkauf ihrer Birnenkuchen, greift bei nahendem Frost ein, um die Birnenblüten zu retten und beginnt sich bei ihr immer wohler zu fühlen. Auch Louises Kinder Emma und Félix, zunächst eher abweisend, fassen Zutrauen, obwohl Pierre manchmal schroff sein kann und sich niemanden öffnet.

Deutsches Plakat zum Film. (Foto: © Neue Visionen Filmverleih)

Als Louise erfährt, dass Pierre Autist ist und am Asperger-Syndrom leidet, ist sie höchst irritiert, bittet ihn, den Hof zu verlassen, und kommt ihm doch innerlich immer näher. Ämter und Gerichte mischen sich ein, wollen Pierre aufgrund seines oft sonderbaren Verhaltens in eine Klinik einweisen, eine Gutachterin wird eingeschaltet, doch Louises Wunsch, Pierre in ihrer Nähe zu wissen, wird immer stärker. Nicht als Patient, der betreut werden muss, sondern als Mitglied der Familie, denn: „Er hat mich vor dem Ruin bewahrt und meine Kinder zum Lachen gebracht.“ Als die Gutachterin vorschlägt, über eine Vormundschaft und eine dreimonatige Probezeit nachzudenken, so, als lebe er wie bei seiner Mutter, erwidert Louise: „So ist das aber nicht gedacht. Wenn er bleibt, dann nicht, weil er uns braucht, sondern wir ihn.

Der Film ist voller Empathie, und die feinen, gelegentlich auch herben Töne zwischen der Bäuerin Louise Legrand und dem Autisten Pierre zeigen auf einfühlsame Weise das Zueinanderfinden zweier Menschen in einer komplizierten Situation. Drehbuchautor und Regisseur Éric Besnard gelingt es auf humorvolle und subtile Weise sich dem Thema des „Anderssein“ zu nähern und diskret darauf hinzuweisen, dass aus einer sich entwickelnden Freundschaft zweier so unterschiedlicher Menschen Liebe entstehen kann. Die Schlussszene, in der Louise und Pierre, äusserlich und innerlich zugewandt, durch Felder und blühende Blumenwiesen streifen, ist anrührend-innig und ein eindringliches Plädoyer für Menschlichkeit. Ein sehenswerter Film.


PINNWAND: Birnenkuchen mit Lavendel (Frankreich, 2015) mit Virginie Efira (Louise Legrand), Benjamin Lavernhe (Pierre), Herve Pierre (Jules), Lucie Fagedet (Emma Legrand). Produktion: Pulsar und Camera One.- Drehbuch und Regie: Éric Besnard. – Kamera: Philippe Guilbert. – Musik: Christophe Julien. – Deutscher Verleih: Neue Visionen, Berlin. Deutscher Kinostart: 2016.