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Blick aus einem Zug der Straßenbahnlinie 11

Der schmucke Bolongaropalast, erbaut von einer italienischen Kaufmannsfamilie, steht im Frankfurter Stadtteil Höchst, nahe der Nidda, die in den Main mündet. Hier nimmt in der schmalen Zuckschwerdtstraße die Straßenbahnlinie 11 ihre Fahrt auf, um in einer Stunde in das 18 Kilometer entfernte Fechenheim zu rollen. Alle sieben oder acht Minuten startet eine Bahn es braucht 20 Züge, um die Fahrgäste auf dieser Strecke hin und zurück zu befördern.

Durch die Stadtteile Nied und Griesheim — nach einer kleinen Brücke, wo ein Cinestar-Kino und Supermärkte stehen — geht es entlang der von kleinen Firmen und Wohnhäusern geprägten Mainzer Landstraße stadteinwärts. Schrebergärten fliegen vorbei, die Bahn unterquert die mehrspurige A 5, die zugleich auch Europastraße ist. Links und rechts langweilige Wohnblöcke aus der Nachkriegszeit. Die Räder knirschen erbärmlich an einer Weiche. 

Die Bahn durchschneidet das Gallusviertel, das keine Attraktionen zu bieten hat, aber nach der Eröffnung des Frankfurter Hauptbahnhofs vor über 130 Jahren eine industrielle Hochblüte erlebte. Die Eisengießerei Mayfarth & Co., die Adler-Werken von Heinrich Kleyer, die Bremsenfabrik Teves sowie die Telefonbau und Normalzeit siedelten sich in den Nachbarstraßen an und prägten das Viertel. Zwischen Rebstöcker Straße und Galluswarte steigen viele Fahrgäste ein oder aus. In der Nähe befinden sich einige Städtische Ämter mit sozialen Funktionen und in der Kleyerstraße hat das Ausländeramt seinen Sitz.

Die Galluswarte ist Zentrum des Viertels. Früher wurde sie Galgenwarte genannt, weil hier auch Hinrichtungen stattgefunden haben sollen. Die Warte ist die älteste von mehreren mittelalterlichen Landwehrtürmen in Frankfurt und Verkehrsknotenpunkt, kreuzen sich doch hier mehrere Straßenbahn- und S-Bahnlinien und Autos aus mehreren Richtungen. Nach Verschwinden der Industriebetriebe hat sich im Quartier vielfältiges Dienstleistungsgewerbe angesiedelt.

Einige Fahrgäste starren in ihre Smartphones, sprechen leise hinein oder versenden wichtige (oder unwichtige) Nachrichten. Eine Frau lässt die anderen Mitfahrenden lautstark an ihren Beziehungsproblemen teilnehmen. Kurz darauf nähert sich der Triebwagen dem Hauptbahnhof. Das mächtige Gebäude steht rechter Hand; als „Centralbahnhof Frankfurt“ wurde es nach fünfjähriger Bauzeit 1888 eröffnet. Rund 1800 Züge, international, national und regional, fahren täglich auf den 25 Gleisen des Sackbahnhofs ein und aus. Zu viele, um noch einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten. Deshalb ist eine Untertunnelung geplant, wann und wie ist noch offen. Ein schwergewichtiger Mann steigt zu, lässt sich ächzend in einen Sitz fallen und packt sein Frühstück aus…

Die »Elfer« vor dem Hauptbahnhof in Frankfurt. (Foto: Clipdealer)

Am interessantesten ist die Passage der Münchener Straße. Der Fahrgast blickt hinaus und sieht in jedem der alten Bürgerhäuser oder nach dem Krieg errichteten Neubauten ein seltsames Gemisch von Läden: Bäckereien, Friseure, kleine Supermärkte, Schuhgeschäfte, Hotels, Gemüseläden, Wettbüros, Apotheken und andere mehr. Nirgendwo herrscht so ein geschäftiges Treiben. Menschen eilen hin und her, springen noch vor der hupenden Bahn über die Straße, Autos huschen bei Gelb über die Kreuzungen, einer sogar noch bei Rot. Fußgänger und Radfahrer verhalten sich leichtsinnig.

Nach dem Verlassen der „Münchener“ wird am Willy-Brandt-Platz das Schauspielhaus, über dessen Zukunft in der Stadt heftig debattiert wird, passiert. Einige hundert Meter weiter ist links die Paulskirche zu sehen, in der 1848 die erste Verfassung für Deutschland entstand. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde sie am 18. Mai 1948 wieder eingeweiht und gilt als Hort der Demokratie. 

Zug der Linie 11 an der Haltestelle Römer/Paulskirche. (Foto: Clipdealer)

Der Römer, gleich rechts neben der Haltestelle, ist ein interessantes Rathaus, von dem aus die Stadt seit über 600 Jahren regiert wird. Kaiser  gingen hier ein und aus, auch Königin Elisabeth von England stand auf dem Balkon und wurde bejubelt, deutsche Fußball-Nationalmannschaften hier ebenso gefeiert wie die Frankfurter Eintracht. Maikundgebungen und politische Großveranstaltungen gehören zum Römerberg wie der Weihnachtsmarkt und der Ironman-Triathlon. In der Nähe der Gleise in der Braubachstraße glänzen die wieder aufgebaute „neue Frankfurter Altstadt“, der mächtige Dom und das Museum für moderne Kunst.

Die Bahn zuckelt in Richtung Hanauer Landstraße und leert sich zusehends. Nahe dem Ostbahnhof geht es vorbei  an der alten Großmarkthalle, wo die Europäische Zentralbank in den Himmel ragt. An der Haltestelle Schwedlerstraße versucht eine junge Frau, ihren Kinderwagen in die Tram zu hieven, ein Schüler springt ihr bei (wer hätte das gedacht, die Jugend von heute), und ein Dankeschön belohnt ihn. Die „Hanauer“ ist vor und nach dem Kaiserlei-Kreisel eine Meile für mittelständische Unternehmen aller Art. Autohäuser prägen das Bild der stark befahrenen Straße, die stadteinwärts täglich ein Stau-Monster ist.

Blick auf Römer (links) und Paulskirche. (Foto: Branko Srot/ stock.adobe.com)

Die Fahrt neigt sich dem Ende entgegen. Rechts steht das mittelgroße Gebäude, in dem einst eines der großen deutschen Versandhäuser residierte und sich jetzt ein internationales Rechenzentrum befindet, links wirbt ein großer Baumarkt um Kundschaft, gleich darauf sind die dunkelbraun-rötlichen Mauern des ehemaligen Casella-Werkes zu sehen, einem 1870 gegründeten Chemie- und Pharmaunternehmen, das nach seinem Ende als Industriepark Fechenheim weiterlebt. Es sind nur noch wenige Fahrgäste in der Bahn, an der Mainkur, einer ehemaligen Zollstation, biegt die „Elfer“ nach rechts ab, rollt entlang der Offenbach-Fechenheimer Mainschleife bis zur Schießhüttenstraße. „Endstation, alle aussteigen!“ tönt es aus dem Lautsprecher.