Frenchy (Marlene Dietrich) singt, tanzt und pokert. Sie wirft mit harten Gegenständen nach besoffenen Kerlen; sie ist frech-aggressiv, betrügerisch, schlägt nicht nur übergriffigen Cowboys auf den Kopf, sondern scheut auch wilde Raufereien mit einer ehrbaren Ehefrau und dem gerade in die Stadt gekommenen Sheriff Destry nicht. Sie hilft einem Gauner namens Kent bei seinen kriminellen Machenschaften, ehe sie (James Stewart sei Dank) verschüttet geglaubte Tugenden wieder entdeckt. Denn trotz Verrucht- und Rauheit steckt in Frenchy erkennbar ein weicher Kern. Aus sentimentaler Liebe schlägt sie sich auf die Seite des Gesetzes, wirft sich in eine tödliche Kugel, die Destry gilt, und bezahlt ihre Rückkehr ins Lager der Guten mit ihrem Leben.
Es ist Anfang April 1948, als in den Scala-Lichtspielen in der Frankfurter Innenstadt Der große Bluff (1939) gezeigt wird. Obwohl der Film zu dieser Zeit schon fast zehn Jahre alt ist, erzählt er nicht nur vom Wilden Westen, sondern auch eine Geschichte über die Dietrich, ihre ins Stocken geratene Karriere und ihr Comeback in den USA. Für mich werden indessen Erinnerungen an eine große Diva und eine großartige Western-Parodie wach. Erstmals habe ich im Scala-Kino Marlene Dietrich gesehen. Über den Star weiß ich als 13jähriger zu dieser Zeit nichts; erst viel später habe ich mir Wissen über die Schauspielerin angeeignet.
Karriereknick
Auf diese Weise erfahre ich, dass Marlene Dietrich nach dem Riesenerfolg von „Der blaue Engel“ (1930) in Deutschland und vielen anderen Ländern dem Ruf nach Hollywood gefolgt war. Nach ersten Anfangserfolgen und der Trennung von Regisseur Josef von Sternberg war sie in den USA bald nicht mehr wohl gelitten. Einige Streifen waren kommerziell wenig erfolgreich, was ihr bei amerikanischen Kinobesitzern den Ruf als so genanntes „Kassengift“ eintragen hatte.
Die Dietrich kehrte nach Europa zurück, erhielt aber bald danach die überraschende Offerte, in einem Universal-Film mitzuspielen, ein Streifen, der heute als erste Western-Komödie gilt, sieht man von Klamauk-Streifen der alten Stummfilm-Komiker ab.
Marlene Dietrich, die vor allem als Vamp reüssiert hatte, erobert nun eine gänzlich anderes Feld. Mit den schmissigen Songs „Litte Joe“ und „Boys in the Backroom“ (von Friedrich Hollaender) sorgt sie mit kratzender Stimme nicht nur im Saloon, sondern auch auf der Leinwand für ausgelassene Stimmung. Sie ist in jeder Minute ihres Auftretens präsent. Ihre Karriere nimmt wieder Fahrt auf…
Flaschenhals Bottleneck
Die Geschichte des Films selbst dreht sich um das aus allen Fugen geratene, heruntergekommene Nest Bottleneck (Flaschenhals), das von üblen Revolverhelden beherrscht wird. Saloon-Besitzer Kent lässt sogar den ehrenwerten Gesetzeshüter ermorden, um die Herrschaft über die Stadt zu erringen. Unterstützung erhält er vom korrupten Bürgermeister (und Richter), der den stadtbekannten Säufer Washington Dimsdale als Nachfolger einsetzt.
Doch die Gangster haben die Rechnung ohne Dimsdale gemacht, denn der Trunkenbold war im früheren Leben ein richtig guter Kerl. Er erinnert sich an seine besseren Tage und hört mit dem Saufen auf; er holt den Sohn seines alten Freundes Destry in die Stadt, um das kriminelle Gesindel mit Waffengewalt zu bekämpfen. Der junge Destry, im Brotberuf Rechtsanwalt, hält sich indessen eher an die Gesetze als mit dem Colt zu ballern. Nachdem Dimsdale jedoch hinterrücks erschossen wird, greift auch Destry zum Revolver und die Gauner werden mit Unterstützung der anständigen Bürger aus der Stadt vertrieben. Die humorvollen, witzigen Szenen des Films zählen zum Besten in diesem Genre, vor allem, wenn der von den Bösewichten erwartete „Revolverheld“ Destry dandyhaft mit Sonnenschirmchen und Vogelkäfig aus der Postkutsche steigt und sich als vermeintlicher Schwächling der Lächerlichkeit der Cowboys und herumlungernder Taugenichtse aussetzt.
Immer noch sehenswert
Als ich mir vor kurzem auf einer DVD den alten Klassiker ansah, fiel mir auch wieder das zerstrittene Ehepaar Boris Stavrogin (Mischa Auer) und Lilly Bell Callahan (Una Merkel) auf. Sie befinden sich in einem ständigen Ehekrieg. Als sich Lilly Bell mit Frenchy im Saloon prügelt, weil diese ihren Mann nicht nur beim Kartenspiel betrogen, sondern auch noch seine Hosen abgeluchst hat, trennt Destry die weiblichen Kampfhennen mit einem Eimer Wasser.
Aus diesem und auch anderen Gründen ist Der große Bluff auch 80 Jahre nach seinem Erscheinen für mich stets sehenswert. Produzent des Films war Joe Pasternak, als Regisseur agierte George Marshall, Dietrichs Partner war der junge James Stewart.