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Lebensecho

Verschwundener Friseur und andere Dinge des Lebens

Ob der Friseur seinen Salon schließt, und sich auf diese Weise unerwartete Probleme ergeben, ob so mancher lieb gewonnene Alltagsgegenstand auf den Sperrmüll wandert oder sich bei einem Krankenhausaufenthalt kurzeitige Bekanntschaften ergeben: – Dinge des täglichen Lebens sind vielschichtig und reizen zu mancher Randbemerkung.


Wenn der Friseur in den Ruhestand geht…

Die verschlungenen Pfade des Lebens sind nicht nur mit Rosen bestreut. Spaß, Reisen, Urlaub und Freizeit sind für die meisten werktätigen Menschen die erholsame Ausnahme von den Herausforderungen in Beruf oder Privatleben. Viele sehnen dann den Ruhestand herbei – ein schöner Status für diejenigen, die ihr Arbeitsleben hinter sich haben, aber nicht ohne höchst eigenartige Nebenwirkungen, was auch der Autor in jüngster Vergangenheit erfahren musste – und das nicht nur wegen der Einschränkungen in Zeiten der Corono-Pandemie.

Dabei meine ich nicht einmal die abgebrannte Werkstatt meines Autohändlers oder die plötzlich geschlossene Metzgerei zwei Straßen weiter, ich rede  von einigen „intimeren“ Partnerschaften, die mir plötzlich und unerwartet „aufgekündigt“ wurden.

Vierzig Jahre lang war ich dem gleichen Friseursalon treu geblieben, in dem ich mich zwar gelegentlich wechselndem Personal gegenüber sah, aber doch wohl gefühlt hatte. Gewiss, der Haarschnitt stand nicht immer im Einklang mit meinen zuvor geäusserten Wünschen, aber letztlich war ich nicht unzufrieden, zumal meine Haupthaare auch im höheren Alter kräftig und unkontrolliert zu sprießen pflegen. Zwei Versuche, in anderen Salons Fuß zu fassen, scheiterten kläglich, erst im dritten Anlauf fand ich einigermaßen adäquaden Ersatz.

Nicht genug damit. Nachdem sich der Zahnarzt meines Vertrauens 30 Jahre lang mit Erfolg um mein oft lockeres „Mundwerk“ gekümmert hatte, widmete er sich zufrieden lächelnd dem Nichtstun und überließ mich mitsamt den Zähnen meinem Schicksal. Als ich meinem Hausarzt aufsuchen wollte, wurde ich mit der Tatsache konfrontiert, dass selbiger sich ebenfalls verabschiedet hatte. Mein Augenarzt ist nicht mehr der jüngste, es bleibt abzuwarten, wann hier das nächste Ungemach droht; nur bei der Fußpflegerin bin ich guter Dinge. Sie ist noch jung genug, um mir die nächste Zeit zu versüßen…


Ein Kanapee verschwindet…

Der Tag ist hellgrau. Dünn blinkt zwischen den weißen Wolken ein messingfarbener Lichtstrahl der fahlen Sonne. Am Straßenrand steht einsam und verlassen ein knallig-gelbes Sofa das wohl schon bessere Tage gesehen hat. Die Couch ist verschlissen und bei näherem Hinsehen sind die Flecken zu sehen, die sich über die Jahre in den Stoff gefressen haben. Gleichwohl kann das Kanapee auch jetzt noch Geschichten aus zehn Lebensjahren erzählen. Von spannenden Fernsehstunden, von Fußball-Übertragungen, von Abenden an denen der Rotwein floß, und lärmendes Lachen das Wohnzimmer erfüllte.

Die Jahre gehen dahin, es war Zeit, wieder einmal auszumisten. Auch das Sofa. Das Zauberwort heißt Sperrmüll. Unzählige Sachen, die der Mensch nicht mehr braucht, wenn er sich Neues ins Haus holt, werden entsorgt. Es reicht, die überflüssig gewordenen Dinge einfach auf die Straße zu stellen. Dort harren sie stundenlang, ehe sich ein klobiger Laster nähert, hinten ein breites, offenes Maul, davor einige muskulöse Männer. Unbeeindruckt von nostalgischen Erinnerungen schleudern sie mit kraftvollem Schwung die einst geliebten Gegenstände in den gierigen Schlund des Müllwagens – auf Nimmerwiedersehen. Das Sofa, es ist zu hören, wird mit Getöse zermahlen. Ade geliebtes Möbelstück.


Flüchtige Begegnungen im Hospital

Es sind flüchtige Begegnungen. Freundschaften entstehen in der Regel nicht. Für einige Tage stellt sich ein Gefühl der Gemeinschaft ein, denn die Männer (oder Frauen) werden „Leidensgenossen auf Zeit“ sein. Ungewolltes Zusammentreffen in einem Krankenhaus! Sechs Tage in einem Dreibett-Zimmer. Eingewiesen wegen eines Defektes in der Netzhaut und einer dringend erforderlichen Operation, bin ich zunächst eher mit mir selbst beschäftigt, als dass ich Zeit und Muse hätte, mich mit den Malaisen anderer zu befassen.

Niemand kennt den Bettnachbarn in dieser Augenklinik wirklich, fünf oder sechs Tage, vielleicht auch mehr, je nachdem, lebt man zusammen und teilt ein karges Zimmer. Die Nächte schleichen zwischen Dämmerzustand und leichtem Schlaf schleppend dahin, die Narkose wirkt noch nach…

Obwohl ich von den Ärzten drei Tage und Nächte zur Verbesserung des Heilungsprozesses „zur Bauchlage“ verpflichtet bin und nur unzureichend ansprechbar bin, registriere ich Beschwernisse der Zimmergenossen. Das ist wenig. Die Neugier siegt (wer hätte das nicht erwartet?) und so tauschen wir uns über unsere „Defekte“ aus.

Eine Blutung nach einer Grauen Star-OP macht dem neben mir liegenden Herrn aus Gelnhausen schon längere Zeit zu schaffen, seinem Bettnachbar aus dem Taunus ist bei Bauarbeiten Zement in die Augen geflogen und gehärtet, was tanzende Bilder vor seinen Augen erzeugt. 

Wir sind am gleichen Tag operiert worden und Leidensgenossen auf Zeit. Am Tag der Entlassung verlassen wir gemeinsam die Klinik, es folgt ein schneller Abschied, ein Händedruck, das herausgepresste „Auf Wiedersehen“ klingt nicht so, als verstände man es als Verpflichtung, niemand wünscht sich das wirklich, an diesem Ort ohnehin nicht.

So gehen wir nach einem leichten Kopfnicken unserer Wege, jeder in eine andere Richtung. Wir werden nichts mehr voneinander hören. Leidensgenossen auf Zeit nur…