Das „Progress Rocket Space Center“ in Russland kündigt den 2000. Start der im Werk gebauten Raketen für Ende 2024 oder Anfang 2025 an. Ein Rekord. Die Palette der in der Stadt Samara hergestellten Raketenfamilie reicht von Mitte der Fünfziger Jahre bis in die Gegenwart. Zuerst war da die R-7 (umgangsprachlich: Semjorka=sieben), die erste Interkontinentalrakete der Welt, erfolgreich gestartet im August 1957. Wie sich bald herausstellte, war sie als militärische Rakete wenig geeignet. Lange Startvorbereitungen (20 bis 24 Stunden), offen liegende Abschussrampen in Baikonur und Plessezk sowie der extreme Sauerstoff-Verlust bei der Betankung machten das wuchtige Geschoss zu einem Papiertiger.
Chefkonstrukteur Sergej Koroljow hatte deshalb bei der Erprobung schon Satellitenstarts ins Auge gefasst, und nutzte die entstandene Situation, um die Rakete zu einem Transportmittel für wissenschaftliche und zivile Zwecke umzufunktionieren. Die R-7 wurde zum Sputnik-Träger, schoss Sonden zum Mond und beförderte als aufgemöbelte Wostok den blutjungen Juri Gagarin 1961 in den Weltraum. Sie wurde zweimal als Woschod eingesetzt, trug Forschungsschiffe zu Mars und Venus und brachte unter der Bezeichnung Molijna Nachrichtensatelliten in die Erdumlaufbahn. Als Krönung entstanden 1966/67 die Sojusse für die bemannte Raumfahrt, zunächst auch gedacht für bemannte Mondmissionen. Es folgten später die Progress-Varianten als Transportmittel zur Versorgung der Raumstationen Salut, Mir und ISS.
Rakete in der Luft
Von der R-7 bis zur Sojus stehen die Raketen nicht auf einem Starttisch, sondern hängen etwa 12 Meter über Grund nur in vier Stützarmen frei schwebend in der Luft. Wenn die Raketen aufzusteigen beginnen, klappen diese zurück und geben den Weg für den Aufstieg frei. Diese originelle Variante wurde Mitte der Fünfziger Jahre ersonnen, weil die Semjorka mit ihrer Paketstruktur nicht stabil genug war, um die vier Seitenblöcke zusammen mit der Zentralstufe problemlos auf einem Starttisch zu stellen.
Faszinierend sind für Laien ohnehin die ingenieurtechnischen Lösungen, um eine Rakete während des Aufstiegs in ihre Einzelteile zu zerlegen. Die minutiös geplante „Zerstörung” der Rakete muss perfekt funktionieren. Am Beispiel der am 23. März 2024 in Baikonur gestarteten Sojus MS-25 mit Kommandant Oleg Nowizki (Russland) und den Raumfahrerinnen Marina Wassilewskaja (Belarus) und Tracy Dyson (USA) lässt sich der Aufstieg einer Rakete sekundengenau nachvollziehen.
113 Sekunden nach dem Abheben wird der Rettungsturm an der Spitze abgesprengt. Sollte es im weiteren Flugverlauf zu einer Havarie kommen, tritt ein anderes Landesystem in Kraft – ähnlich dem bei einer normalen Rückkehr. In Sekunde 117 fliegen die ausgebrannten vier Booster der 1. Stufe (Höhe: 46 km, Geschwindigkeit 4360 km/h) in die Tiefe, während die zentrale zweite Stufe ihren Schub erhöht. Nach 153 Sekunden (Höhe 70 km, Geschwindigkeit 6526 km/h) wird die Raumschiff-Verkleidung abgesprengt (Entfernung: 116 km, Geschwindigkeit 10.554 km/h).
Nach 287,90 Sekunden zündet die dritte Stufe und die ausgebrannte zweite Stufe wird abgetrennt (Höhe: 145 km, Geschwindigkeit. 13.344 km/h), nach 525 Sekunden erfolgt der Brennschluss der dritten Stufe; das Raumschiff wird von ihr getrennt, entfaltet die Sonnenpaddel und befindet sich etwa 1600 Kilometer vom Startplatz entfernt im Orbit (Höhe: 200 km, Geschwindigkeit: 27.700 bis 28.000 km/h).
Das Prinzip eines solchen Sojus-Starts gilt für alle Raketen dieser Bauart. Lediglich die technische Parameter und Zeitabläufe weichen leicht voneinander ab, da die Aufgabenstellungen und Nutzlasten unterschiedlich sind.
Viereckige Räder
Während des Starts werden im Träger starke Kräfte freigesetzt. Die Rakete schüttelt und rüttelt, es lärmt, pfeift und donnert. Die Insassen müssen enorme Vibrationen und Beschleunigungskräfte aushalten. Der russische Kosmonaut Alexej Leonow hat das einmal so beschrieben:
„Wenn man den Eindruck hat, in einem Auto mir viereckigen Rädern zu sitzen, und damit über Kopfsteinpflaster zu holpern, dann ist alles normal.“
Nach vielen Havarien zu Beginn ihrer Existenz wurde die Raketenfamilie immer zuverlässiger (heute: über 98 Prozent), auch wenn es immer noch Fehlstarts gibt. Drei Beispiele gibt es aus dem bemannten Programm. Im April 1975 musste Sojus 18 wegen Versagens der Trennung von zweiter und dritter Stufe vorzeitig landen, ohne die Umlaufbahn erreicht zu haben. Die Kosmonauten Makarow und Lasarew landeten mit dem Notfallprogramm nahe der chinesischen Grenze im Altai-Gebirge. Auch der Flug von Sojus 10 T A kam nicht zustande. Die Rakete explodierte am 26. September 1983 auf der Startrampe, die Besatzungsmitglieder Titow und Strekalow wurden durch den Rettungsmechanismus aus der Gefahrenzone katapultiert, ohne Schaden zu nehmen.
Am 11. Oktober 2018 trennte sich bei Sojus MS-10 wegen eines Montagefehlers ein Booster nicht von der zentralen 2. Stufe und beschädigte deren Tanks, was zum Startabbruch und Totalverlust der Rakete führte. Das Raumschiff mit Alexej Owtschinin (Russland) und Nick Hague (USA) wurde planmäßig abgesprengt und landete in der Nähe, ohne dass die beiden Männer Schadens nahmen.
Bei den tödlichen Unglücksfällen mit Sojus 1 im Jahr 1967 (Komarow) und Sojus 11 im Jahr 1971 (Dobrowolski, Wolkow, Pazajew) waren die Raketen nicht Ursachen der Katastrophen. Bei Sojus 1 versagte das Fallschirmsystem des Raumschiffes, bei Sojus 11 kam es zu einem plötzlichen Druckabfall in der Landekapsel.
PINNWAND: Gestartet werden können Sojus-Raketen in Kourou (Französisch Guyana – wegen des Ukraine-Konflikts gegenwärtig gesperrt), Baikonur (Kasachstan), Plessezk und Wostotschny (beide Russland)