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Zeitgeschichte

Britischer Offizier hinterlässt den Begriff „boykottieren“

Vor vierzig Jahren, im Frühsommer 1980, entschied das Nationale Olympische Komitee der Bundesrepublik, die Olympischen Sommerspiele in Moskau zu boykottieren: wie viel andere Nationen auch, allen voran die USA. Grund: Ende Dezember 1979 hatte die UdSSR in Afghanistan militärisch interveniert. Die Sommerspiele 1980 in Moskau kamen gerade recht, um ein politisches Exempel zu statuieren. Boykott, Boykott, Boykott!, so lautete das Gebot der Stunde. 

Die UdSSR fuhr zusammen mit den Ostblock-Staaten (außer Rumänien) vier Jahre später bei den Spielen von Los Angeles eine Retourkutsche, was allerdings auch nicht gerade gescheit, aber zu erwarten war. Politisch wurde durch diese Aktionen des Kalten Krieges nichts bewirkt, aber unbeteiligte Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt wurden um die Früchte ihrer Arbeit gebracht, woran 2020 nach vierzig Jahren von den Betroffenen erinnert wurde.

Es ist für mich wenig sinnvoll, nach vier Jahrzehnten die Hintergründe dieser Boykotts in diesem Beitrag noch einmal zu hinterfragen, das haben Historiker und Politologen in ausreichendem Maße getan. Die Frage ist in diesem Zusammenhang, woher der Begriff „Boykott“ eigentlich stammt.

Ich hatte früh gelernt, den Sinn eines Boykotts zu verstehen, denn Ende der Vierziger Jahre hatte ich in einem Frankfurter Kino den 1947 gedrehten britischen Spielfilm Captain Boycott (mit Stewart Granger) gesehen, der sich des historischen Themas annahm. Obwohl der Streifen, eingebettet in eine romantische Liebesgeschichte und melodramatisch verbrämt, an der Oberfläche blieb, waren die sozialkritischen Töne unüberhörbar, und selbst für Jugendliche verständlich.

Charles Boycott

Auf der Suche nach dem „Boykott” führte der Weg nach Irland, wo Ende des 19. Jahrhunderts ein Mann namens Charles Boykott lebte, der sich in seiner Umgebung nicht gerade durch freundliches Verhalten auszeichnete. Das wurde besonders deutlich, als wegen extrem schlechten Wetters im Jahr 1880 eine verheerende Missernte drohte. Landpächter und betroffene Landarbeiter baten den mächtigen Großgrundbesitzer und adeligen Earl of Erne um eine Pachtminderung, was von ihm und vor allem seinem rüden Verwalter und Geldeintreiber Charles Boycott abgelehnt wurde.

Der im Land schon lange schwelende Konflikt zwischen den „kleinen Leuten“ und den Großgrundbesitzern brach offen aus. Vor allem Charles Boycott, ein ehemaliger englischer Armeeoffizier, reagierte mitleidlos auf die Sorgen der Menschen, erließ Räumungsbefehle, setzte Arbeiter aus der Stadt Ulster als Erntehelfer ein und ließ diese sogar durch Soldaten beschützen. Der Widerstand der einheimischen Landbevölkerung wuchs gerade deshalb, viele Betroffene wollten sogar Gewalt gegen den Earl und Boycott anwenden. 

Dem Politiker Stewart Parnell gelang es in seiner Eigenschaft als Präsident der neu gebildeten irischen „Land League“ die Landbevölkerung von einen anderen und gewaltfreien Weg zu überzeugen. Gemeinsam wurde die Idee entwickelt, keinen Handschlag mehr für Boycott, der immerhin zehn Prozent der Mieteinnahmen als Provision vom Earl of Erne kassierte, und dem Gutsherrn selbst zu tun.

Repressionen

Charles Boycott wurde völlig isoliert. Nachbarn sprachen nicht mehr mit ihm, Geschäftsleute ignorierten ihn, Arbeiter streikten und sogar der Briefträger weigerte sich, die Post zuzustellen. Boycott wurde auf diese Weise in die Knie gezwungen, geriet in finanzielle Schwierigkeiten und wanderte schließlich in die USA aus. 

Der von seinem Namen abgeleitete Begriff „boykottieren“ aber ging als Synonym für Verweigerung und Verfemung in den internationalen Sprachschatz ein. „Boykotts“ werden heutzutage nicht mehr nur im Sinne der irischen Landbevölkerung, sondern vor allem als Mittel der politischen Repression eingesetzt, wobei dann aber eher von „Sanktionen“ die Rede ist.