Kategorien
Literatur

Bösewicht Hagen meuchelt Siegfried, aber wo?

Geheimnisvoller Odenwald. In der Vergangenheit sollen sich dort skurrile Geschichten zugetragen haben. Die Nibelungensage ist eine davon. Dabei spielt Hagen von Tronjes Meuchelmord an Drachentöter Siegfried eine herausragende Rolle, denn das nicht allzu hohe Mittelgebirge zwischen Rhein-Main-Gebiet und Neckar bis hin zum lieblichen Kraichgau ist der Hintergrund jener wilden Story, die nicht nur Richard Wagner zum »Ring des Nibelungen« inspirierte, sondern auch in zahlreichen Filmen ihren Niederschlag fand. Die Region profitiert in touristischer Hinsicht  von den beschriebenen Abenteuern, bahnen sich doch Nibelungen- und Siegfriedstraße auf unterschiedlichen Routen ihren Weg von Worms nach Osten bis nach Wertheim am Main. Klappern gehört zum Handwerk!

Weil sich Mord besonderer Beliebtheit bei den Fernsehzuschauern erfreut, macht sich auch ein „halbhistorischer“ Tatort nicht übel, um Gäste anzulocken. Obwohl die Nibelungensage – sie stammt wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert – nur das literarische Werk eines unbekannten Autors ist, streiten sich viele Gemeinden um die „Ehre“, Schauplatz des blutigen Verbrechens gewesen zu sein.

Der Mord

An einer Quelle, meist als Siegfriedbrunnen beschrieben, soll Hagen von Tronje den berühmten Drachentöter Siegfried mit einem Speer hinterrücks gemeuchelt haben; gerade als der edle Siegfried niederkniete, um sich nach einem Wettlauf aus dem Brunnen mit frischem Wasser zu laben. Hagen soll auf Geheiß der nordischen Königin Brünhild gehandelt haben, die sich mit Kriemhild, der Gattin Siegfrieds, in einen Eifersuchtsstreit befand. 

Der Meuchelmord war nicht leicht auszuführen, denn Siegfried war nach Tötung eines Drachens und einem Bad in dessen Blut durch einen Hornpanzer unverwundbar geworden. Nur eine kleine Stelle auf seinem Rücken, die ein Lindenblatt beim Bad im Drachenblut bedeckt hatte, bot eine Angriffsfläche. Diese wurde von Hagen gezielt genutzt, nachdem er von Siegfrieds Gattin Kriemhild arglos über den verwundbaren Punkt informiert worden war. 

Weil niemand weiß, wo sich das mörderische Drama zugetragen hat, reklamieren zahlreiche Städtchen und Dörfer die Existenz der Quelle und des Tatortes für sich. Lautertal, Grasellenbach, Hiltersklingen, Lindenfels, Amorbach (alle im Odenwald), Odenheim im Kraichgau werden häufig genannt. Auch Edigheim (Ludwigshafen) und Heppenheim (Bergstraße) versuchen, aus dem Nibelungen-Drama ein bisschen Kapital zu schlagen.

Im Kraichgau-Örtchen Odenheim steht zum Beispiel ein aufwändig gestalteter, schöner Brunnen, im Lautertaler Felsenmeer weist eine Tafel auf den Ort der blutigen Tat hin, in Lindenfels ist es ein rundes, eingefasstes Gemäuer. Im Laufe der vergangenen Jahre behauptet Grasellenbach verstärkt, an dem dort im Wald gelegenen Brunnen habe sich das tödliche Drama ereignet. Diese Quelle inmitten von Büschen und Bäumen liegt ein wenig versteckt etwa eineinhalb Kilometer von Ortskern entfernt. Das Wasser fließt nur spärlich aus einem flachen Stein, denn die Quelle ist seit dem Jahr 1951 versiegt. Ein kommunales Unternehmen lässt das Wasser jetzt künstlich sprudeln.

Wunde 

Wenn die Sonne durch die Wipfel lugt und auf das Steinkreuz aus dem Jahr 1851 sçheint, kann man die in mittelhochdeutschen Text eingemeiselte Strophe 981 aus dem 16. Abenteuer des Nibelungenliedes gut erkennen. Legt man eine moderne Schreibweise zugrunde, heisst es dort:

„Da der Herr Siegfried an der Quelle trank, traf Hagen ihn durch das Zeichen hindurch mit dem Speer, daß sein Herzblut im hohen Bogen aus der Wunde an Hagens Wams spritzte. Eine so schwere Untat kann heute kein Held mehr begehen.“

Historiker haben herausgefunden, dass viele der beschriebenen Ereignisse der Nibelungensage auf die blutigen Auseinandersetzungen der Ritter in der Zeit der Völkerwanderung und der kurzen Blütezeit der Burgunder zurückzuführen sind. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass ein wahrer Kern in all den Schilderungen steckt – wie das bei Sagen und Märchen meist der Fall ist. Doch wo die Missetat sich zutrug, weiß niemand. Schließlich ist es nur eine Sage…