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Lebensecho

Eigenartige Welt im Regal der Leihbücherei Zaun

Erste Erfahrungen mit der Wildwest-„Literatur“ und ihrer darin beschriebenen „Helden“ und Revolvermänner machte ich als Schüler in der Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1950. Noch heute erinnere ich mich daran, wie ich mit Western in Berührung kam. Das hatte mit dem liebenswürdigen Herrn Zaun zu tun, der mit schütterem Haar und einer goldumrandeten Brille in südlichen Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen ein Schreibwarengeschäft betrieb, in dem auch Artikel für den Schulbedarf (wenn in dieser Zeit überhaupt vorhanden) zu haben waren. Der kleine Laden war gekoppelt mit einer Leihbücherei, ein damals gängiges Geschäftsmodell.

In der Städtischen Bücherei an der Ecke Darmstädter Landstraße und Willemerstraße, die 1946 wieder eröffnet worden war, hatte ich zunächst einige Bücher von Mark Twain ausgeliehen und dabei vor allem die Geschichten um „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ verschlungen. Ebenso Robinson Crusoe von Daniel Defoe. Außerdem gab es einige Sportbücher. Das Angebot für Schüler und Jugendliche war insgesamt aber dürftig, vor allem, weil viele Bestände den Bombenangriffen zum Opfer gefallen waren oder nicht mehr den Anforderungen der demokratischen Zeit entsprachen.

Krimis und Western

Unter diesen Umständen wurde die Leihbücherei Zaun zum Treffpunkt für viele Schüler aus Alt-Sachsenhausen. Das Geschäft lag in der Dreieichstraße zwischen der Einmündung zur Großen Rittergasse und der damaligen Obermainbrücke. Die Lage war günstig für die Umsätze, denn in nächster Nachbarschaft lagen am Frankensteiner Platz eine bekannte Berufsschule (heute: Bergius) sowie Willemer-, Frankensteiner- und Wallschule (heute Deutschherren) in der Willemerstraße. 

Falschspielerei im Western-Saloon. (Symbolfoto: Scott Griessel/stock.adobe.com)

Gegen geringes Entgelt ließen sich „beim Zaun“ Abenteuer- und Kriminalromane ausleihen. Auch Liebesromane wurden hier goutiert (Hedwig Courths-Mahler!), aber das war nicht unser Interessengebiet. Die Krimi-Serien von Hermann Hilgendorff, der über einen FBI-Agenten namens Jack Kelly fabulierte, und dem britischen Inspektor Percy Brook Gestalt gab, standen da eher auf unserer Wunschliste. Beliebteste Bücher für uns waren  Wildwest- und Abenteuerromane, die ebenfalls in Zauns Regalen standen. Sie stammten von vielen Autoren, darunter waren Zane Grey, Jack London, Max Brand sowie B. Traven sowie andere.

So erfuhren wir, wenn sicher meistens auch nicht sachgerecht vom Leben (und Sterben) der Pioniere im Wilden Westen. In den Büchern spielte sich alles anders ab, als bei der tatsächlichen Erschliessung  des Westens. Immerhin waren sie der Realität meistens näher als die Western-Filme, in denen gerauft und geschossen wurde, das es schon eines gewissen Abstandes brauchte, um das richtig einzuordnen.

Ein gewisser Traven

Herr Zaun machte mich eines Tages auf den Roman „Der Schatz der Sierra Madre“ von B. Traven aus dem Jahr 1927 aufmerksam. Obwohl kein Western im üblichen Sinne, war es eine gute Empfehlung, viele lasen das Buch, was bald daran zu erkennen war, dass auf der vorletzten Umschlagseite die Rubrik der Ausleihdaten überquoll. Uns alle faszinierte neben dem Inhalt des Romans der mysteriöse Buchautor Traven, weil zu damaliger Zeit noch niemand wußte, wer sich hinter den Pseudonym in Wahrheit verbarg – und demzufolge unter uns Schülern über die Identität des Schriftstellers viel gerätselt wurde. Wer wissen möchte, wer der Schreiber wirklich war, kann in der Enzyklopädie „Wikipedia“ die entsprechenden Angaben finden.

Viele der Abeuteuer- oder Wildwest-Romane, die ich „beim Zaun“ auslieh, begegneten mir später als Filme wieder, darunter von B. Traven „Der Schatz der Sierra Madre“ (mit Humphrey Bogart) in der Hauptrolle, von Zane Grey der „Überfall der Ogalalla“ (mit Randolph Scott), „Die Spielhölle von Wyoming“ (John Wayne, Alan Ladd) und von Jack London „Der Seewolf“ (mit Edward G. Robinson). Die Liste ließe sich unschwer verlängern.