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Literatur

Rodensteiner Geisterheer braust durch den Odenwald

Der Rodenheimer Ritter ist wieder unterwegs: mit Hörnerklang und Trompetenblasen. Soldaten, Pferde, Kutschen und Kriegsgeschirr bilden sein Geisterheer, das lärmend von der Burg Schnellerts zur sechs Kilometer entfernten Burg Rodenstein zieht. Der dunkelbunte Himmel ist erfüllt von Kriegsgeschrei und Säbelklirren. Die kriegerische  Jagd durch tief herabhängende Wolken erschreckt die Menschen in den Dörfern. Viele sollen (und wollen) diesen Lärm im nördlichen Odenwald gehört haben. Getuschelte Erzählungen machen die Runde, wonach die bewaffnete Truppe in Ober-Kainsbach durch einen Bauernhof gebraust ist – und aus Brensbach und Fränkisch-Crumbach wird Ähnliches berichtet.

Doch wer glaubt schon an die Wahrhaftigkeit alter Sagen? Kaum jemand, möchte man meinen. Umso erstaunlicher ist es, dass sich solche fantastische Geschichten in der Welt des Rationalen über Jahrhunderte hinweg erhalten haben, und sogar aufgeklärte Zeitgenossen, wenn auch oft mit einem Augenzwinkern, sich darauf einlassen. Doch woher stammt die Legende, was steckt dahinter, wie ist sie entstanden. Keine befriedigende Antwort. Außer: Es war einmal…

Und so lautet der „Text“ der Sage: Einer der Ritter, die einst die 1240 errichtete Burg bewohnten, sah seinen Lebensinhalt vor allem in Krieg und Jagd. Nie hielt es ihn lange auf der Burg, immer wieder zog er hinaus, um in blutigen Kriegen den Säbel zu schwingen, Land sich einzuverleiben, noch reicher und mächtiger zu werden, was dem geneigten Leser wohl bekannt erscheinen dürfte..

Eingang zur Burg Rodenstein. (Foto: Schattenwanderer/Stock.adobe.com)

Auch als sein junges Weib in den Wehen lag, lockt den Ritter der Kampf. Obwohl sie ihn eindringlich bat, ihr bei der Geburt beizustehen, zog er in die Schlacht. Die Frau aber gebar einen toten Sohn, und starb, alleingelassen vom blutrünstigen Gatten, worauf ihr Geist den Rodensteiner dazu verdammte, bis zum Jüngsten Tag möge er als ruheloser Bote des Krieges dienen. Nachdem der unedle Rittersmann bald danach selbst zu Tode kam und auf Burg Schnellerts begraben wurde, zog sein verfluchter Geist (und mit ihm sein Heer) durch die Lüfte, wenn ein Krieg zu drohen schien. 

Allerdings offenbar nur regional begrenzt, denn einen solchen Umzug des Geisterheeres soll es letztmals im Jahr 1938 gegeben haben, ein Jahr bevor der Zweite Weltkrieg angezettelt wurde. Seitdem war vom Rodensteiner nichts mehr zu hören, obwohl doch überall auf der Welt Kriegsgeschrei zu vernehmen ist.

Bergengruen und die Sage

Der Journalist, Dichter und Romancier Werner Bergengruen (1892-1964) hat sich unabhängig von solchen Überlegungen des Themas angenommen. Bergengruen wohnte im Sommer 1925 einige Monate in Lindenfels im Odenwald bei Verwandten. Der damals 28-Jährige durchstreifte die Umgebung und entdeckte dabei auch die Burgruine des Ritters Hans von Rodenstein bei Fränkisch-Crumbach. Bergengruen verarbeitete seine Erkenntnisse über dieses »sagenhaftes Geisterheer« in der Schrift Das Buch Rodenstein. 

Bei meinen eigenen zahlreichen Exkursionen in den Odenwald fand ich einen Text Bergengruens aus diesem Buch auf der Schautafel Nr. 7 am sogenannten Dichterweg der Ruine. Unter dem Titel Rodensteiner und wildes Heer, alter Dämonenglaube lese ich über den Rodensteiner unter anderem folgende Zeilen:

„Er braust durch Wälder. Tannen prasseln vor ihm wie dürres Reisig. Sturm bläht ihm den schwarzen Mantel, dass er aufflattert und alle Sterne verhüllt. Tod zeigt er an, Grauen und Herbst und die Stunde, nach der keine Zeit mehr sein soll: Bote Gottes und seiner Nacht, Erfüllungskünder und Endeansager, der doch selber unerfüllt blieb und unbeendet. […] Schattenhände klopfen gegen die Fenster, Wolkenpferde jagen heulend über den Himmel, und ihre Hufe schlagen düsterrote Funken aus dem verhüllten Monde.“

Von solchen abenteuerlichen Geschichten profitiert der Odenwald-Tourismus, und auch für das Restaurant Hofgut Rodenstein am Fuß der verfallenen Burgruine ist die Sage nicht von Übel. Die 1240 erbaute Burg ist im übrigen nicht durch kriegerische Einwirkungen verfallen, sondern verkam erst, als alle Rodensteiner während des Dreißigjährigen Krieges (um das Jahr 1635) durch die Pest hinweggerafft wurden. Danach verfiel das Gebäude schnell, es wurden immer mehr Mauern abgetragen, und aus den Steinen wurde rundherum gebaut – unter anderem das Rathaus Fränkisch-Crumbach.


Leserzuschrift

Unser Leser Thomas Steinmetz ergänzt den Bericht wie folgt:

Den „Rodensteiner“ oder „Schnellertsherrn“ gibt es übrigens bis heute. Er wird nämlich nach wie vor gehört, so 1973, 1990 und 1991. Nur spricht niemand darüber, denn so etwas gibt es ja nicht gemäß unserem „vernünftigen“ Weltbild.