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Kultur

Das kurze Leben des
aufmüpfigen Georg Büchner

Das alte Fachwerkhaus in Goddelau, einem Ortsteil von Riedstadt im Südhessischen und nahe des Rheins, steht ansehnlich, fast wuchtig in der Weidstraße 9. Weiße Fensterrahmen und grüne Klappläden zieren das Haus, die Holzbalken sind von blassem Rot, das Mauerwerk hell. Zwei Bänke vor dem Eingang, ein gepflasterter Hof, im Garten kleine Rosenhecken. In diesem 1665 erbauten Haus wurde am 17. Oktober 1813 Georg Büchner geboren, der heute Goddelaus berühmtester Sohn ist. 

Als Büchner im ersten Stock das Licht dieser Welt erblickte, war das Fachwerkhaus selbst schon fast 150 Jahre alt. Sein Vater arbeitete damals etwas abseits von Goddelau in jenem Krankenhaus, das auch heute noch als „Zentrum für Soziale Psychiatrie Philippshospital“ existiert. Büchner lebte allerdings nur zwei Jahre in Goddelau, dann verzogen die Eltern nach Darmstadt in die Grafenstraße 39. Büchners rebellische Lehr- und Wanderjahre führten ihn als jungen Mann von Darmstadt über Gießen und Straßburg ins Exil nach Zürich, wo er an Typhus erkrankte und im Alter von nur 23 Jahren starb.

Erinnerung

Obwohl Büchner nur kurze Zeit als Kleinkind in Goddelau verbrachte, ist sein Geburtshaus, heute im Besitz der Stadt Riedstadt, von großer kultureller Bedeutung. Es ist die letzte reale Erinnerungsstätte an den Dichter, Revolutionär und Naturwissenschaftler. Es ist der Stadt Riedstadt, die das zerfallende Haus 1988 für 300 000 Mark kaufte, sowie dem Engagement zahlreicher Privatleute und Unternehmen zu verdanken, dass das Haus vor dem Verfall gerettet werden konnte. 

Die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes war 1997 abgeschlossen. Es war auch ein finanzieller Kraftakt für Riedstadt, das  bei der Gebietsreform 1977 aus den fünf eigenständigen Gemeinden Goddelau, Erfelden, Crumstadt, Leeheim und Wolfskehlen entstanden war, zumal die Gegend von Landwirtschaft und Handwerk geprägt war.

Das Büchner-Haus ist Museum und Kulturzentrum zugleich. Eine Dauerausstellung beschreibt den kurzen Lebensweg Büchners, dessen Kampf gegen die reaktionären Zustände im Großherzogtum Hessen aus meiner Sicht höher einzustufen sind als sein literarisches Werk. 

Georg Büchner. (Foto: Historic Images, Bleistift-Zeichnung von A. Hoffmann / Alamy)

Die aufrührerische, revolutionäre Grundhaltung Büchners führte 1834 zur Gründung illegaler Gruppierungen, die sich für die Verwirklichung von Menschenrechten einsetzten. Mit Rektor Weidig aus Butzbach brachte er die sozialrevolutionäre Flugschrift „Der Hessische Landbote“ heraus. Die darin formulierte zentrale These lautet:

„Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“

Diese gesellschaftspolitische Parole ist heute noch weit verbreitet und wird aus den verschiedensten Anlässen immer wieder zitiert und in gesellschaftliche Zusammenhänge gebracht. Büchner wurde wegen des Aufrufs gesucht. In einem Steckbrief (Nr. 2493) vom 13. Juni 1835 heisst es:

Akribisch wurden in der so genannten Personal-Beschreibung Einzelheiten der Person Büchners mitgeteilt, zum Beispiel. Alter: 21 Jahre, Größe: 6 Schuh (9 Zoll neuen Hessischen Maßes), Haare, Augenbrauen und Bart: blond, Stirne: sehr gewölbt, Augen: grau, Nase: stark, Mund: klein, Kinn: rund: Angesicht: oval, Gesichtsfarbe: frisch, Statur: kräftig und schlank, Besondere Kennzeichen: Kurzsichtigkeit. 

Unterzeichnet war der Steckbrief von Untersuchungsrichter Georgi, seines Zeichens Hofgerichtsrath des Großherzoglichen Hessischen Hofgerichts der Provinz Oberhessen.

Kein Wunder, dass sich Georg Büchner im Frühjahr 1835 nach Straßburg abgesetzt hatte. Ein Jahr später promovierte er in Zürich in Naturwissenschaften über „Das Nervensystem der Flussbarbe“, einem Süßwasserfisch aus der Familie der Karpfen. Bald darauf (1836) ging das kurze Leben des Rebellen und Dichters zu Ende.

Sein künstlerisches Schaffen

Über seine künstlerischen Arbeiten gibt es auch Irritationen, weil seinem berühmten „Woyzeck“ die gerichtsmedizinischen Gutachten des Dr. Johann Clarus über die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Woyzeck zugrunde liegen – und wortgetreu „abgekupfert“ sind. Auch in „Dantons Tod“ zitiert er umfangreich aus den Redeprotokollen der Französischen Revolution, ohne explizit darauf hinzuweisen. Büchners Rolle als Dramatiker ist davon gleichwohl unberührt geblieben.


PINNWAND: Das Büchner-Haus in Riedstadt-Goddelau, Weidstraße 9, hat donnerstags und sonntags zwischen 14.00 und 18.00 Uhr geöffnet (ohne Gewähr).