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Schilfhalme und glucksendes Wasser unter den Brücken

Wenn ich mich an deutsche Filme aus der Jugendzeit erinnere, sehe ich einen Schwarz-Weiß-Streifen vor mir, der auch heute noch gelegentlich im Fernsehen läuft, und sich mir durch die Schilderung einfacher, menschlicher Schicksale ins Gedächtnis eingebrannt hat. Das knapp 100 Minuten lange Melodram Unter den Brücken wurde 1944 von Helmut Käutner für die UFA inszeniert. Die Hauptdarsteller waren Hannelore Schroth, Carl Raddatz und Gustav Knuth. In einer kleinen Nebenrolle ist die junge Hildegard Knef zu sehen. 

Der Film gilt heute als eines der Meisterwerke deutschen Kinos und wurde in den letzten Monaten des Krieges unter primitivsten Bedingungen auf den Gewässern in Berlin und rund um Potsdam hergestellt. Unter anderem wurde auch an der Glienicker Brücke bei Potsdam  gedreht, die später in den Zeiten des Kalten Krieges zum Austausch von Spionen aus Ost und West genutzt (und berühmt) wurde.

Die Handlung ist einfach strukturiert. Erzählt wird die Geschichte von zwei Männern und einer Frau auf einem Schleppkahn. Das Zusammenleben dieser drei Menschen wird auf eine harte Zerreißprobe gestellt, als die knorrigen Schiffer Hendrik Feldkamp (Carl Raddatz) und Willy (Gustav Knuth) auf einer ihrer Fahrten die vom Leben enttäuschte Anna Altmann (Hannelore Schroth) an Bord nehmen. Beide verlieben sich in die junge Frau, Spannungen unter den Männern sind unvermeidlich. Doch ihre Freundschaft hält diesen Belastungen stand, und nachdem sich die junge Frau schließlich für Hendrik Feldkamp entschieden hat, setzten die drei gemeinsam ihre Fahrt fort.

Das Thema eines solchen „Dreiecks“ liebender Menschen ist nicht neu, und wird in zahllosen Filmen und Fernsehspielen immer wieder auf neue Art thematisiert. Was den Film jedoch außergewöhnlich macht, ist die Schlichtheit der Bilder. Kameramann Igor Oberberg rückt nicht allein die Figuren in den Fokus, sondern lässt vor allem die karge Landschaft, den Fluss und den Schleppkahn erzählen. 

Das „Lexikon des internationalen Films“ schrieb in einer Würdigung des Films unter anderem:

„Eine kleine alltägliche Geschichte mit Poesie, Realismus, viel Atmosphäre und einem Schuß Humor, unprätentiös und präzise inszeniert. Die sensible Kamera macht aus der Not eine Tugend und läßt die karge Landschaft eine tragende Rolle spielen.“

Der Filmkritiker Dieter Fritko sah das ähnlich, als er einen  Tag nach der Frankfurter Erstaufführung im Bieberbau (am 25. Juli 1951) in der Tageszeitung Frankfurter Rundschau schrieb:

„Das Glucksen des Wassers und das Rauschen der Schilfhalme bildet einen unaufdringlichen Hintergrund zu der zarten Liebesmelodie, unter der sich der Alltag der Schiffer verschönt.“

Der renommierte Kritiker Karsten Witte führte die bewusst formelle, graphische Bildkomposition des Films auf  den politischen Druck zurück, unter dem der aufmüpfige Käutner in den letzten Kriegsjahren gestanden hatte.

Unter den Brücken hebt sich deutlich von Produktionen dieser „staatstragenden“ Zeit ab. Im Mittelpunkt steht Individualität und die persönliche Freiheit der Menschen auf dem Schleppkahn. Er setzt damit ein Zeichen gegen die Gleichmacherei und die unsägliche Ideologie der „Volksgemeinschaft“. Aber erstaunlicherweise wurde der Film im März 1945 von der Zensur freigegeben, kam aber auf Grund der Kriegswirren, die Deutschland zu dieser Zeit überrollten, nicht mehr in die Kinos. Die Zensoren hatten wenige Tage vor dem Untergang des „Dritten Reiches“ wahrscheinlich ganz andere Sorgen als einen Film zu beurteilen. 

1946 wurde Unter den Brücken in Locarno (Schweiz) bei den Filmfestspielen uraufgeführt, und ab 12. November 1946 in Schweden gezeigt. Erst vier Jahre später, am 15. September 1950, kam es in Göttingen zur bundesdeutschen Erstaufführung. Unter den Brücken ist ein so genannter Überläufer-Film. Dieser Begriff wird in der deutsch-österreichischen Filmhistorie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges benutzt. Es handelt sich dabei um Filme, die zwar noch unter der Herrschaft der Nazis fertiggestellt, aber erst nach der Kapitulation in die deutschen Kinos gekommen sind.

Seltsame Sache

Es klingt im Nachhinein aberwitzig, aber 1944 und sogar noch in den ersten Monaten des Jahres 1945 waren deutsche und österreichische Produktionsfirmen damit beschäftigt, Filme herzustellen, obwohl das Ende des „Dritten Reiches“ bevorstand und die Welt rings umher zusammenbrach. Bei diesen Streifen handelte es sich in erster Linie um Musik- und Unterhaltungsfilme, weil es zu den Intentionen von Propagandaminister Goebbels zählte, der gebeutelten Bevölkerung eine heile Welt vorzugaukeln und die Menschen angesichts ständiger Bombenangriffe mit Toten und Verletzten sowie zunehmender Ruinenlandschaften zum „Durchhalten“ zu bewegen.