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Lebensecho

Lokalbahn tuckert von Frankfurt nach Offenbach

Bis Mitte der Fünfziger Jahre verkehrte zwischen Frankfurt-Sachsenhausen und Offenbach die „Lokalbahn“. Früher gezogen von Dampfloks, zuletzt mit Diesel-Kraftstoff befeuert. Ein kleiner historischer Rückblick auf dieses ehrwürdige Bimmelbähnchen, erinnert an vergangene Zeiten. Heute gibt es zwar die S-Bahnstation „Lokalbahnhof“, die nach dem alten Haltepunkt benannt ist, der bis 1955 die Städte Frankfurt und Offenbach verband, aber diese Station liegt doch etwas weiter südlich. Vom alten Bahnhof selbst ist nichts mehr zu sehen; hier steht jetzt ein Geschäftsgebäude, Gleise der Straßenbahn befinden sich jedoch an der Stelle, an der das Abfertigungsgebäude stand. 

An der nahen Kreuzung treffen Darmstädter Landstraße, Textor- und Dreieichstraße aufeinander. Eine Gaststätte trägt ebenfalls den Namen Lokalbahnhof. Auf der anderen Straßenseite ist das altehrwürdige Harmonie-Kino in Betrieb. Verschüttete Erinnerungen an Sachsenhausen werden wach, als ich vorbeigehe…

Ende Februar 1944 bin ich zum ersten Mal mit dem Bimmelbähnchen gefahren, wenige Groschen hat es gekostet, ich musste für meine Eltern einen wichtigen Brief auf einem Amt in Offenbach abgeben. Es war meine erste Bahnreise in die nahe, fremde Stadt. Der dortige Endpunkt befand sich am Dreieck der Dom-, Bahnhof-, Kaiserstraße, heute verläuft dort die Berliner Straße. Die Fahrzeit betrug neun Minuten.

Unterwegs hat die Lokalbahn inmitten der prächtigen, weitläufigen Gärtnereien von Oberrad gehalten. Das merke ich mir, denn einige Tage später, es ist Anfang März, fahre ich (diesmal nur zum Vergnügen) wieder mit der Lokalbahn und steige an der Haltestelle Oberrad aus. Von dort aus ist es zu Fuß nicht weit an das Mainufer. Dort haben einige Frankfurter Rudervereine ihr Domizil, es sind freilich kaum Boote auf dem Wasser, die meisten Sportler sind als Soldaten im Kriegseinsatz.

Molenkopf

In der Nähe befindet sich auch die Gerbermühle, einst der Landsitz der Familie Willemer, in der auch Frankfurt-Weimars Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe in den Jahren 1814/15 längere Zeit Gast war, sie wird nur noch einige Tage stehen, doch das weiß niemand, auch nicht die wenigen Spaziergänger, die an diesem sonnigen Frühlingstag hier frische Luft schnuppern. Auf der anderen Mainseite befindet sich die Honselbrücke, die in den Osthafen führt und gleich daneben der so genannte Molenkopf, ein großes Freibad, das es noch erlaubt, im Hochsommer im Main zu schwimmen.

Ich fahre nicht mit der Lokalbahn zurück, sondern gehe auf „Schusters Rappen“ in Richtung Sachsenhausen. Erst in Richtung der Fußballplätze, auf denen damals Germania 94 spielte, und wo ich meine ersten Fußbälle trat, dann durch die Gerbermühlstraße an der Rückseite des Schlachthofes vorbei. Ich passiere „meine“ Frankensteiner- und die benachbarte Willemerschule, sehe um die Ecke in der Dreieichstraße schon die Harmonie-Lichtspiele vor mir;  links davon liegt der Bahnhof, von dem ich abgefahren bin. Das alles war ein kleiner Ausflug, aber doch ein fast außergewöhnlich anmutendes Erlebnis für einen Schulbuben…

Wenige Tage danach (18., 22. und 24. März 1944) wird bei einem dreimaligen alliierten Bombenhagel fast die ganze Stadt vernichtet, darunter auch das Haus in der Elisabethenstraße, in dem wir wohnen, was unsere Familie als Flüchtlinge in den Westerwald verschlägt. Und auch die Gerbermühle versinkt in Schutt und Asche.

Historie

Die Lokalbahn zwischen Sachsenhausen und Offenbach hatte 1848 ihren Betrieb aufgenommen und war damit sogar eine der ältesten Strecken in Deutschland. Bis August 1944 lief der Betrieb mit Dampflokomotiven, eher die Fahrten aufgrund des Krieges eingestellt wurden.

Am 2. Dezember 1946 wurde der Betrieb wieder aufgenommen, allerdings mit einem Dieselzug. Wegen Unrentabilität wurde die Verbindung schließlich zum 1. Oktober 1955 aufgegeben, zumal die parallel verlaufende Linie 16 mitten durch den Ortskern von Oberrad bis nach Offenbach führte.

Drei Tage lang durften die Menschen die Bahn noch einmal benutzen, und diesmal sogar kostenlos, eine Gelegenheit, die ich nicht ungenutzt vorübergehen ließ.


K. H. Selzer schreibt zur Situation rund um den Lokalbahnhof:

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»Als Ergänzung möchte ich hier noch anmerken, dass sich im Restaurant Lokalbahnhof früher die Gaststätte von Ernst Jäger befand, ein bekanntes Sportler- und Künstlerlokal, das auch in dem Betrag ‚Begegnung mit Matterstock‘ erwähnt wird. Oft zu Gast war nach seinen Auftritten zum Beispiel der bekannte Frankfurter Theaterschauspieler Otto Rouvel.«