Kategorien
Literatur

Brentano und Heine als geistige Väter der Loreley

Es ist zugegebenermaßen schon lange her, dass ich den Loreley-Felsen aus der Nähe gesehen habe. Mehrmals bin ich auf einem blütenweiß gestrichenen Ausflugsdampfer an ihm vorbei geschippert, einmal bin ich anlässlich einer historischen Exkursion, deren tieferer Zweck mir nicht mehr erinnerlich ist, direkt über die Bundesstraße 274 auf das Plateau gefahren. Im Sommer 2020 rückte die Loreley wieder in mein Gesichtsfeld, als ich las, dass zahlreiche geplante Veranstaltungen (u.a. Roland Kaiser, Tote Hosen) auf der Freilicht-Bühne im Zusammenhang mit dem Corona-Virus abgesagt werden mussten.

Fasziniert hat mich der Brocken, der wie eine lauernde, eventuell gleich zuschnappende Falle in den Rhein hineinragt, und zwischen Fluss und Fels nur Platz für die Bundesstraße 42 lässt, seit jeher: und nicht nur, weil ich vor Ort war. Neben touristischer wurde ihm auch militärische Bedeutung beigemessen. In den Fünfziger Jahren waren gegen den Widerstand von Gegnern der Remilitarisierung Sprengkammern eingebaut worden, um im „Falle eines Falles“ das Schiefergestein „explosionsartig“ in den Fluss zu befördern und einen künstlichen Stausee zu schaffen, ob sinnvoll oder nicht.

Dieser Loreley-Felsen befindet sich bei Rheinkilometer 555, nahe St. Goarshausen, gehört zum Bundesland Rheinland-Pfalz und verfügt seit 1861 über einen Eisenbahntunnel, auf dem der rechtsrheinische Güter- und Personenverkehr zwischen Mainz und Köln abgewickelt wird. Doch mein Interesse richtet sich nicht so sehr auf Sprengkammern oder einen Eisenbahn-Tunnel,  sondern gilt seiner »märchenhaften« Geschichte. 

Ausflugsschiff vor dem Loreley-Felsen. (Foto: Karlo 54/ stock.adobe.com)

Die künstlich erschaffene Sage von der anmutig-blonden Loreley, die viele Schiffer mit ihrem lieblichen Gesang in den frühen Tod gerissen haben soll, ist aber auch zu schön, um wahr zu sein. Die Wassermänner, betört vom Singsang der holden Jungfrau, rammten meist mit ihren Lastkähnen die unter der Oberfläche liegenden, unsichtbaren Klippen des noch ungezähmten Flusses, wonach die Schiffe, gebeutelt von Strudeln und Untiefen, in reissenden Fluten versanken.

Diese Geschichte der Loreley ist nicht so alt wie die meisten der wehrhaften Gemäuer entlang des Rheins. Die Sage wird Clemens Brentano (1778-1842) zugeschrieben, dem bekannten Dichter der Romantik, der 1801 im Roman Godwi oder das steinerne Bild der Mutter eine Ballade über die schillernde Figur der Loreley einfügte und sie damit zum Leben erweckt haben soll. Bekannter als Brentano hat sie erst Heinrich Heine (1797-1856) gemacht, der 1824 einige Verse veröffentlichte, die später von einem gewissen Friedrich Silcher vertont wurden, und auf diese Weise als deutscher Volksliedschatz ihren unsterblichen Weg machten. 

Dabei ist es ist sicher kein Zufall, dass Heines Zeilen just in der Zeit geschrieben wurden, als die ersten Dampfschiffe (ab 1825) auf vielen Flüssen (und auch auf dem Rhein) auftauchten. Heines Worte, die auch als ironisierend oder satirisch im Hinblick auf die „Überschwänglichkeiten“ der Romantik interpretierbar sind, haben die Sage von der Loreley im Volk eingebrannt und dem Felsen ein außergewöhnliches literarisches Denkmal gesetzt. Eine reale Erinnerung an die Loreley steht seit 1983 am Fuße des Felsens auf einer kleinen Landzunge bei St. Goarshausen. Die Bronze-Skulptur stammt von der in Paris lebenden, russischen Bildhauerin Natascha Alexandrova Prinzessin Jusopov.

Nebenbei bemerkt, durften sich auch andere Frauengestalten mit dem Namen der Jungfrau vom Rhein schmücken. In der Filmkomödie Blondinen bevorzugt von Howard Hawks aus dem Jahr 1953 trug eine gewisse Marylin Monroe den Namen Lorelei, und sie durfte wie ihr sagenhaftes Vorbild, mit sirenenhaften Klängen die Männerwelt becircen.

Loreley-Statue, errichtet 1983. (Foto: Andy Ilmberger/adobe.stock.com)

Unabhängig von Gedichten oder Figuren steht der Felsklotz unverrückbar wie ein Ausrufezeichen am Fluss, bildet mit der Rheinschleife bei Boppard den Mittelpunkt der gewundenen Rhein-Passagen zwischen Bingen und Koblenz. Sowohl links- als auch rechtsrheinisch sind die Hänge nicht nur mit Weinreben, sondern auch mit Festungen und Schlössern zugepflastert, fast 60 sollen es sein, angefangen vom Binger Mäuseturm, einer alten Zollstation, bis hin zur Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Dazwischen Burgen über Burgen, Ruinen über Ruinen. Kein Wunder, dass dieses Obere Mittelrhein-Tal mit all diesen Mauerwerk seit 2002 zum Weltnaturerbe der UNESCO zählt.