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Sieger und Verlierer bei den „500 Meilen von Indianapolis“

Als der Autor vor einigen Jahren im Nest-Verlag (Frankfurt am Main) das Buch Sport-Klassiker herausgab, in dem 27 bedeutende Großereignisse des Sports vorgestellt wurden, war auch ein Beitrag über die „500 Meilen von Indianapolis“ enthalten. Während der Zahn der Zeit inzwischen an manchen der anderen 26 Veranstaltungen nagt, steht „Indy 500″ noch immer in der Ruhmeshalle des Sports ganz weit oben.

Was geschieht beim Mai-Spektakel von Indianapolis? Nachdem das Publikum der mit viel Pathos und Inbrunst vorgetragenen, inoffiziellen Hymne des US-Bundesstaates Indiana (Indiana Back Home Again) gelauscht hat, steigen Tausende von Luftballons in den Himmel und es ertönt die Aufforderung: Gentlemen start your engines! 

Mit infernalischem Gebrüll starten die Boliden und im ovalen »Nudeltopf« beginnt die Hetzjagd über 500 Meilen (804,672 Kilometer). Die vier Kurven, die genau genommen gar keine sind, sondern das lang gezogene Rechteck nur abrunden, sind höchst gefährlich. Wenn hier mit einem Tempo von über 350 km/h vorbeigerast wird, verengen sich für die Piloten die Bogen bei neun Grad Überhöhung geradezu dramatisch und erfordern an den Lenkrädern allerhöchste Präzision.

Fehler verzeiht der Kurs, der entgegen dem Uhrzeigersinn befahren wird, in keiner Sekunde. Mario Andretti, selbst Indy-Sieger von 1989, sagte über die Problematik:

„Die Distanz von 800 Kilometern erfordert eine ungeheure mentale Stärke, weil die Ideallinie sehr schmal verläuft und man stets am Limit fährt.“

Doch auch Formel 1-Weltmeister haben ihr Glück in Indianapolis versucht, und sogar auf dem obersten Treppchen gestanden. Emerson Fittipaldi (Formel 1-Champion 1972 und 1974) hatte 1989 und 1993 in Indianapolis die Nase vorne, Mario Andretti (Formel 1-Weltmeister 1978) gewann 1989, Jaques Villeneuve (Weltmeister 1997) im Jahr 1995, Graham Hill (Weltmeister 1962 und 1968) schrieb sich 1966 in Indy in die Siegerliste ein und Jim Clark (Formel 1-Titelträger 1963 und 1965) siegte 1965. Der 1968 in Hockenheim tödlich verunglückte Clark ist der einzige Formel 1-Weltmeister, der innerhalb eines Jahres (1965) sowohl den WM-Titel als auch Indiannapolis gewann. Allerdings ist es heutzutage auf Grund der kommerziellen, terminlichen und technischen Entwicklung kaum noch möglich, beide Wettbewerbe in einer Saison zu bestreiten. 

Glückloser Alonso

Auch der zweimalige Formel 1-Champion Fernando Alonso träumte von einem Sieg in Indy. 2017 versuchte der Spanier (noch als aktiver Formel 1-Fahrer) in Indianapolis sein Glück, fuhr ein beherztes Rennen, schied aber kurz vor Schluss nach einem Defekt aus. Noch bitterer wurde es für den stolzen Spanier und das McLaren-Team 2019, denn Alonso konnte sich mit einem zu schwachbrüstigen Auto nicht für das Rennen qualifizieren. Alonsos Traum, das Formel 1-Rennen von Monaco, die 24 Stunden von Le Mans und Indianapolis (das berühmteste Motorsport-Triple) zu gewinnen, blieb auch 2020 unerfüllt, als er nur 21. (bei 33. Teilnehmern) wurde. Der Frust war entsprechend groß.

Blick auf die Indy-Rennstrecke. (Foto: Clipdealer)

Wie kam es zum Kultstatus von Indy? Wie in Europa begannen auch in den USA Anfang des vergangenen Jahrhunderts die so genannten „Herrenfahrer“ Automobilsport zu betreiben. Der reiche William K. Vanderbilt, der aus dem Pferderennsport kam, begeisterte sich schnell für die motorisierten Fahrzeuge, setzte sich kurzerhand hinter das Steuer und errang einige Siege. 

Angestachelt durch die Erfolge gründete er die »Automobil Racing Association« der USA, schuf den nach ihm benannten Vanderbilt-Cup, und der Zeitungsverleger Gordon Bennet beteiligte sich ebenfalls an der Organisation von Autorennen, auch in Deutschland. So wurde auch ein Gordon-Bennet-Rennen im Taunus ausgerichet. Im Gegensatz zu Vanderbilt fuhr Bennet aber nicht selbst, sondern ließ sch lieber mit einem Vierspänner kutschieren.

Weil in den USA auf den Straßen die Menschenmassen, die Autorennen sehen wollten,  nicht mehr zu bändigen waren, wurden in verschiedenen Orten erste permanente Rennstrecken errichtet. Eine davon war 1909 das Motodrom in Indianapolis, die Strecke bestand nur aus Ziegelsteinen.

Rummelplatz

Die Veranstaltung gilt mit ihren Zuschauermassen als die am besten besuchte Sporttagesveranstaltung der Welt, und die amerikanische Mentalität macht daraus ein großes Familien-Happening für das Wochenende. Während die Männer in den Rennwagen mit höchster Konzentration ihre rund dreistündige Arbeit verrichten (nur durch Tankstopps und Safety Car-Phasen unterbrochen), drängen die Menschen auf den Rängen an die Imbissstände, verzehren Bagels, Sandwiches, Steaks und Cornflakes, trinken Cola oder schauen sich jenseits des Spektakels Unterhaltunsgsshows an.

Doch wo Sonne ist, gibt es auch Schatten. In der Geschichte der 500 Meilen gab es über 100 tödliche Fahrerunfälle in Rennen, Qualifikation oder Training. Außerdem verloren zahlreiche Mechaniker, Streckenposten und Zuschauer ihr Leben. Auch beim Sieg von Josef Newgarden 2023 gab es kurz vor Schluss einen dramatischen Unfall, der wie durch ein Wunder glimpflich ausging.


PINNWAND: Das erste Rennen über 500 Meilen ging am 30. Mai 1911 über die Bühne. Der Amerikaner Ray Harroun siegte in 6:42,08 Stunden, was einem Schnitt von 120,06 km/h entspricht. 2021 stellte der Brasilianer Hélio Castroneves einen Rekord auf, als er das Rennen in 2:37,19 Stunden beendete (Schnitt: 306,886 km/h).