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Kino

Filmpalast an der Konstabler eine Nummer zu groß

Heute, in Zeiten der übergroßen Multiplex-Kinos mit ihren unterschiedlich großen Sälen, werden oftmals Erinnerungen wach an die palastartigen Lichtspielhäuser, die Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger Jahre das Bild in den Großstädten prägten. Eines dieser Häuser war der Filmpalast in Frankfurt am Main. Bedingt durch die Entbehrungen und Leiden des Zweiten Weltkrieges gab es in den drei Westzonen und in der späteren Bundesrepublik Deutschland einen Kinoboom ohnegleichen, denn die Menschen suchten Ablenkung und Unterhaltung. Die Häuser schossen wie Pilze aus dem Boden.

Alteingesessene Kinobetreiber und Neueinsteiger balgten sich zu dieser Zeit um den (vermeintlich) großen Kuchen. In dieser „Goldgräber“-Atmosphäre entstand in Frankfurt am Main mit dem Filmpalast in der Großen Friedberger Straße 26-28, nur wenige Meter von der traditionsreichen Konstablerwache entfernt, das bis dahin größte Kino der Stadt: mit sage und schreibe 1500 Plätzen.

Eröffnung

Zur festlichen Eröffnung wurde am 27. September 1949 der französische Film Von Mensch zu Mensch gezeigt, in dem das Leben von Henri Dunant, dem Begründer des Roten Kreuzes, nachgezeichnet wird. Für die Premiere hatte sich Besitzer August Reichard etwas besonderes einfallen lassen. Die Einnahmen wurden dem Deutschen Roten Kreuz gestiftet, so dass die Wahl dieses Streifens als karitative Botschaft auch dem Image des Theaters zugute kam.

Allerdings war zahlendes Publikum gar nicht so reichlich anwesend. Prominente aus Kultur, Politik sowie Journalisten und viele Filmschaffende gaben sich die Ehre… Immerhin wurde ein prächtiges Rahmenprogramm inszeniert: Das Symphonie-Orchester Bad Homburg spielte Werke von Beethoven, Wagner, Mozart und Tschaikowsky; Tanz- und Gesangseinlagen wurden vom Ensemble der Städtischen Bühnen Frankfurt und vom Volkschor Offenbach vorgetragen.

Dieser „Filmpalast“ stand an einem überaus traditionsreichem Platz. Schon seit 1929 waren auf diesem Grundstück Filme gezeigt worden; das erste Kino hieß Roxy und wurde später umbenannt in Palast-Lichtspiele (Pa-Li). Nach der Bombenzerstörung im Zweiten Weltkrieg baute Reichard das Kino aus den Trümmern wieder auf und machte im wahrsten Sinne des Wortes einen „Palast“ daraus.

Alleine 900 Sessel wurden zentral im Saal angeordnet, Rang und Seitenlogen boten fast 600 Besuchern Platz. Im Orchestergraben konnten 50 Musiker spielen, grüner Marmor und indirektes Licht schufen im Foyer eine heimelige Atmosphäre. Kein Wunder, dass die ersten Zuschauer vom Ambiente beeindruckt waren.

Erstaufführungen

Im Filmpalast liefen in den ersten Jahren viele bekannte internationale Abenteuer- und Kriminalfilme an wie zum Beispiel „Der dritte Mann“ (Orson Welles), „Der Schatz der Sierra Madre“ (Humphrey Bogart), „Reporter des Satans“ (Kirk Douglas), „SOS – Feuer an Bord“ (Cary Grant), „Robin Hood – König der Vagabunden“ (Errol Flynn), „Die schwarze Natter“ (Humphrey Bogart, Lauren Bacall) und „Asphalt-Dschungel“ (Sterling Hayden).

Premieren im Filmpalast. (Fotos: Filmverlag Unucka)

Alle Filme mit Rita Hayworth als Hauptdarstellerin starteten hier, unter anderen „Gilda“ (Januar 1950), „Es tanzt die Göttin“ (Ende Dezember 1950) sowie „Liebesnächte in Sevilla“ (Anfang August 1951). Alle drei Filme mit beträchtlichem Werberummel. Wahrscheinlich wäre Rita sogar schon 1947  persönlich erschienen, denn am 4. Juli dieses Jahres weilte sie anläßlich des US-Unabhängigkeitstages zur Truppenbetreuung in der Stadt, aber da gab es den Filmpalast noch nicht…

Ebenfalls fanden deutsche Nachkriegsproduktionen wie „Königin der Landstrasse“ (Rudolf Prack), „Epilog – Das Geheimnis der Orplid“ (Peter van Eyck, Carl Raddatz), „Pikanterie“ (Curd Jürgens) den Weg auf die große Leinwand.

Besucherzahlen

Schon wenige Wochen nach der Eröffnung verpachtete Reichard das Haus an den Stuttgarter Kino-König Willy Colm. Nach Angaben von Colm in einer Zeitungsanzeige besuchen im ersten Jahr des Betriebes zwar sage und schreibe 1.033.981 Menschen das Kino, doch die hohe Besucherzahl täuschte darüber hinweg, dass die Auslastung nur bei etwa 37 Prozent lag. Bei täglich fünf Vorstellungen (was die Regel war) blieb es von Anfang an schwierig, dauerhaft die notwendigen Einnahmen zu generieren. Insbesondere am Mittag und Nachmittag verloren sich oft nur wenige Zuschauer in dem weitläufigen Raum.

An Wochenenden und Feiertagen sah das natürlich ganz anders aus, und als dann zu Weihnachten 1950 der Film „Es tanzt die Göttin“ lief, war das Kino bestens gefüllt. Das war nicht erstaunlich, denn erstens waren die Festtage zu dieser Zeit immer (noch) ein lukratives Geschäft für die Kinobetreiber, und zweitens locken hier zwei Topstars. Neben der legendären Hayworth schaffte Gene Kelly mit diesem Film seinen endgültigen Durchbruch als Tanz-Darsteller.

Ohne Zukunft

Die drei später gebauten Großkinos der Stadt konnten den Filmpalast in der Kapazität nicht erreichen, blieben aber nur wenig darunter. Das „Metro im Sçhwan“, am 21. Dezember 1949 mit dem Film „Die Reise nach Marrakesch“ eröffnet, bot 1200 Besuchern Platz, der „Turmpalast“ (im März 1950 mit „Vagabunden der Liebe“ ins Kinogeschäft eingestiegen) hatte die gleiche Anzahl von Plätzen und der „Europa-Palast“ schließlich fasste 1150 Menschen. Diese drei Kinos sahnten auch die Mehrzahl von Uraufführungen deutscher Filme ab.

Dass alle diese Großprojekte mit einem einzigen, riesigen Saal keine dauerhafte Zukunft hatten, erwies sich schnell, was vor allem dem Einzug des Fernsehens in die Wohnzimmer geschuldet war. Der Filmpalast musste bereits 1965 die Pforten schließen und einem Möbelhaus Platz machen. Heute betreiben hier ein bekannter Juwelier und ein Friseur ihre Geschäfte. Das rückwärtige Gebäude wird von Restaurants und einem Luxushotel genutzt.

Auch Turmpalast und Metro im Schwan sind längst geschlossen, nur der Europapalast-Komplex hat mit seinen Abspielstätten (Elysee 1 und 2, Esplanade 1 und 2, Eden, Esprit 1 und 2 und Elite) die kritischen Kinozeiten dank einer klugen und vorausschauenden Geschäftsführung gemeistert.

Moderne Zeiten

Bei genauerer Betrachtung haben Großpaläste dennoch überlebt, beruhen allerdings auch auf dem Prinzip der Schachtelkinos der 80er Jahre: allerdings kommen sie im modernen, hochtechnisierten Gewand daher. Der Cinestar-Komplex auf der Mainzer Landstraße umfasst wie das Europapalast-Haus an der Hauptwache acht Säle mit insgesamt 1918 Plätzen (227 – 445 – 97 – 156 – 304 – 97 – 156 – 436), das Metropolis am Eschenheimer Turm verfügt sogar über zwölf Abspielstätten mit 3498 Sitzen (275 – 182 – 283 – 114 – 646 – 631 – 114 – 535 – 348 – 152 – 196 – 204).

Die einmalige Atmosphäre der Frankfurter Kino-Paläste aus den Fünfziger Jahren vermögen diese Abspielfabriken gleichwohl nicht zu erreichen. Schon deshalb sind nostalgische Erinnerungen durchaus angebracht.