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Zeitgeschichte

Tod einer Lebedame: Der Mordfall Rosemarie Nitribitt

Rosemarie Nitribitt, Beruf: Prostituierte, wurde Anfang November des Jahres 1957 in ihrer kleinen Wohnung in einem Wohn- und Geschäftshaus der Frankfurter Innenstadt ermordet. Der Fall sorgte lange für Schlagzeilen, wurde in einem satirisch-kritischen Buch von Erich Kuby verarbeitet und dann mehrmals verfilmt. Warum erregte der Nitribitt-Mord die Öffentlichkeit über die Maßen, da doch unzählige andere Prostituierte davor und danach eher unbeachtet den Tod fanden? Die Antwort ist in der gesellschaftspolitischen Situation der Bundesrepublik jener Zeit zu finden. Die Nazijahre waren von den Menschen schnell aus dem Gedächtnis verdrängt worden, die Herren in den weißen Westen hatten Oberwasser. 

Gut Verdienende umgaben sich mit Luxus, wozu bei dem einen oder anderem auch eine „Lebedame“ gezählt haben dürfte. Es war die Zeit des so genannten „Wirtschaftswunders“. Innenpolitisch waren die Jahre geprägt von Ost-West-Konflikten, Wiederbewaffnung, NATO-Beitritt und Kaltem Krieg (mit KPD-Verbot). Gleichzeitig gab sich die Adenauer-Zeit mit ihrer übertrieben christlichen Attitüde prüde und kleinkariert. 

Wie verklemmt die Atmosphäre tatsächlich war, zeigte sich, als ein so genannter „Aufklärungsfilm“ mit dem Titel „Eva und der Frauenarzt“ in die Kinos kam, und Frauen und Männer im Zuschauerraum durch eine Freie Reihe oder ein Seil getrennt sitzen mussten. Der Kuppel-Paragraph bedrohte immer noch Eltern und Jugendliche, gleichzeitig besaßen Männer in den Familien als „Haushaltungsvorstand“ die absolute  Entscheidungshoheit, Frauen waren noch immer weitgehend entrechtet.

Luxusauto

Diese Situation war ein idealer Nährboden für die Prostituierte Nitribitt. Ihr Luxusschlitten Mercedes 190 SL (Preis damals knapp 18 000 D-Mark, dreimal so viel wie ein Käfer) öffnete die Türen zu den neuen „Machern“ mit gut gefüllten Portemonnaies. Weil Rosemarie Nitribitt nicht in einem Bordell oder als „Bordsteinschwalbe“ agierte, sondern mit dem Wagen durch die Straßen der Innenstadt fuhr, um ihre Freier anzusprechen, bot sie eine durchaus „neue Qualität“ im horizontalen Gewerbe. 

Rosemarie Nitribitt hatte instinktiv erkannt, wie gutes Geld zu verdienen war, und wie sie unabhängig von Zuhältern unter die Fittiche reicher Freier kriechen konnte. Sie suchte dabei die Nähe eines exklusiven Frankfurter Beherbergungsbetriebes und erfreute sich zudem der Hilfe von Hotelportiers, die ihr zahlungskräftige männliche Kunden zuführten. Alles natürlich diskret und hinter vorgehaltener Hand. Unter diesen Umständen war die Nitribitt zwar in einschlägigen Kreisen bekannt, aber nicht „stadtbekannt“ wie nach dem Mord genüsslich kolportiert wurde. 

Viele Frankfurter sahen die junge Frau oft in der Innenstadt vorbeifahren, doch erschien die Frau in ihrem Mercedes eher als gelangweilte Tochter aus reichem Elternhaus. Von einer „stadtbekannten Hure“ sprachen, abgesehen von berufsmäßig involvierten Polizisten und einigen Journalisten, vor allem einige Wichtigtuer, die sich nachträglich selbst mit „ihrem Wissen“ um die Nitribitt interessant machen wollten.

Stiftstraße

Die Nachricht vom Tod der Prostituierten verbreitete sich dessen ungeachtet Anfang November 1957 in Frankfurt schnell durch Radio und Zeitungen. Viele Schaulustige eilten in die Stiftstraße am Eschenheimer Turm um einen neugierig-verschämten, schaudernden Blick auf das „Mordhaus“ mit der Nummer 36 zu werfen (unser Titelfoto), in dem sich auch Büros befanden. Die Nitribitt lebte und „arbeitete“ im vierten Stock. Direkt daneben und wie aneinander geklebt stand das Erstaufführungskino „Turmpalast“ (Bleichstraße 57). 

Das Wohn- und Geschäftshaus, in der die Nitribitt „arbeitete“. (Foto: Clipdealer)

Schnell schossen Gerüchte über Verwicklungen von hoch gestellten Persönlichkeiten in den „Fall Nitribitt“ ins Kraut. Der Name eines bekannten Industrieller aus dem Kohlenpott wurde genannt, doch wer wirklich ihre gut betuchten Besucher waren, wurde damals entweder nicht aufgeklärt oder unter dem Deckel gehalten. Spekuliert wurde viel, im Grunde ist es jedoch unerheblich, aus welchen Kreisen sich ihre Kunden rekrutierten: ob es reiche Prominente oder relativ arme Schlucker waren: Freier waren sie allemal… 

Ein tatverdächtiger Mann aus ihrem Bekanntenkreis wurde angeklagt, doch konnte ihm vom Gericht die Täterschaft „nicht mit letzter Überzeugung“ nachgewiesen werden. Allerdings waren die damaligen technischen Aufklärungsmittel ohnehin eher bescheiden. Bei den Ermittlungen waren außerdem gravierende Fehler gemacht worden, besonders im Hinblick auf den Todeszeitpunkt.

Nadja Tiller

Der Schriftsteller Erich Kuby schrieb das satirische Buch „Das Mädchen Rosemarie“, das sich mit den gesellschaftlichen Zuständen im Land beschäftigte, und das sofort verfilmt wurde. Wenig später gab es einen weiteren Film, der den Titel „Die Wahrheit über Rosemarie“ trug. Ein Remake folgte 1996 mit Nina Hoss als Rosemarie Nitribitt. 

Entscheidend geprägt wurde das Erscheinungsbild der Nitribitt in der Öffentlichkeit von Nadja Tiller. Die aufstrebende österreichische Schauspielerin war schon 1949 als „Miss Austria“ zu erstem Ruhm gekommen. Ihre Darstellung in „Das Mädchen Rosemarie“ war gut, hatte freilich mit der Realität kaum etwas zu tun, war doch Rosemarie Nitribitt im Gegensatz zu Nadja Tiller eine wenig auffallende Erscheinung, keineswegs so glamourös wie im Film dargestellt und ihr alltägliches Gewerbe eher profan. Das gezeichnete Bild des Films über die gesellschaftlichen Verhältnisse, wirkte trotz der satirischen Ansätze plakativ, und kaum der Realität nahe.

Nadja Tiller auf dem IFB-Programm zum Film. (Foto: © Filmverlag Unucka)

Als der Film am 28. August 1958  (seit dem Mord war nicht einmal ein Jahr vergangen) in Frankfurt seine deutsche Erstaufführung erlebte, geschah das übrigens nicht im Turmpalast, in dessen direkter Nachbarschaft sie ermordet worden war, sondern im etwa 500 Meter entfernt gelegenen Europa-Palast an der Hauptwache. Regie im Film führte Rolf Thiele, weitere Mitwirkende waren Peter van Eyck, Carl Raddatz, Hanne Wieder, Helen Vita, Karin Baal, Mario Adorf, Horst Frank, Gert Fröbe, Werner Peters und Jo Herbst. 

Rosemarie Nitribitt, die aus Düsseldorf stammte und dort auch begraben ist, wurde nur 24 Jahre alt und hinterließ rund 120 000 DM. Für damalige Verhältnisse eine erstaunlich hohe Summe in ihrem Gewerbe. Dieses Geld läßt den Schluß zu, dass sie tatsächlich Gönner aus Wirtschaft und anderen gut betuchten Kreisen hatte.