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Literatur

„Vom Wind(e) verweht in
moderner Übersetzung

Es ist nicht gerade leicht, einen Roman werkgetreu in eine ander Sprache zu übersetzen, was am Klassiker „Vom Wind(e) verweht, von Margaret Mitchell zu sehen ist. (Foto: Imago)

Der Satz Scarlett O’Hara war nicht eigentlich schön zu nennen ist Hochinteressant, zeigt aber die Schwierigkeit auf, mit der Übersetzer bei ihrer Arbeit immer zu kämpfen haben. Mit dem Zitat wird die zur amerikanischen Spitzenliteratur zählende Familiensaga Vom Winde verweht eröffnet. Allerdings nur in der deutschen Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzberg aus dem Jahr 1937. In Margaret Mitchells Originalfassung des Buches lautet der Satz schlichter, in seiner Prägnanz aber treffender: Scarlett O’Hara was not beautiful. Scarlett war demnach keineswegs schön, aber Mitchell ergänzte sogleich, die Männer hätten dies garnicht bemerkt, weil sie eine starke Persönlichkeit war, was sich auch im Verlauf des Roman bestätigt, auch in Scarletts eher negativen Eigenschaften.

Vom Winde verweht erzählt das wechselvolle Leben der jungen und intriganten Plantagenbesitzerin Scarlett O’Hara in Georgia zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges (1861-65) und der danach beginnenden Wiedereingliederung der besiegten Südstaaten in die USA. Die Ursachen des Krieges, unter anderem Rassismus und Sklaverei, werden allerdings nur indirekt thematisiert. Im Mittelpunkt des Romans stehen vielmehr die unerfüllten Liebesdramen zwischen Scarlett und ihrem Jugendfreund Ashley Wilkes sowie dem zwielichtigen, aber draufgängerischen Rhett Butler, eingebettet in die Geschichte einer Familie und den Auswirkungen des Bürgerkrieges.

Urheberrecht erloschen

Es gibt einen guten Grund, den Roman Vom Winde verweht gerade jetzt ins Gedächtnis zurück zu holen. Denn siebzig Jahre nach dem Unfalltod von Margaret Mitchell 1949 ist 2019 das Urheberrecht an dem Roman erloschen und das opulente Werk gemeinfrei geworden. In dieser günstigen Situation entschloss sich der Verlag Antje Kunstmann (München) den Roman wieder herauszugeben. Obwohl die Erstübersetzung von Beheim-Schwarzberg trotz mancher kritischer Anmerkungen über die geschraubte Sprache durchaus den meisten Lesern als gelungen erschien, wurde Andreas Nohl (zugleich Herausgeber) dafür gewonnen, den Roman neu zu übersetzen. 

Nohl, geboren 1954 in Mülheim, hatte sich schon zuvor einen Namen gemacht, als er Mark Twains Tom Sawyer & Huckleberry Finn, Rudyard Kiplings Dschungelbuch und Edgar Allan Poes Unheimliche Geschichten mit zeitgemäßeren und politisch korrekten Texten versah. Mit seiner Frau, der Opernsängerin Liat Himmelheher, machte er sich daran, auch Vom Winde verweht, in eine zeitgemäßere Form zu bringen. Das beginnt schon damit, dass der deutsche Titel des Romans um einen winzigen Buchstaben gekürzt wurde. Statt Vom Winde verweht lautet er nun: Vom Wind verweht, was ihm einen deutlich klareren Ton verleiht. In einer Verlagsmitteilung heisst es über die Intentionen:

Der Kunstmann Verlag erläutert weiter, Nohl/Himmelheber folgten dabei – anders als es Marin Beheim-Schwarzbach seinerzeit tat – dem schnörkellosen, fast journalistischen Stil, den Margaret Mitchell im Original angeschlagen habe, so dass sowohl die Schilderungen über den amerikanischen Bürgerkrieg als auch die gescheiterten Beziehungen Scarlett O’Haras wirklichkeitsgetreuer erschienen. Gleichwohl hat die Übersetzung sogleich auch die Diskussion wieder belebt, ob es statthaft ist, ob Übersetzer sich das Recht herausnehmen dürfen, ein Originaltext zu „modernisieren”. Die „Neue Zürcher Zeitung” schreibt dazu:

Die Diskussion darüber dauert an, entscheidend dürfte aber sein, dass Übersetzer den Charakter einer Romanvorlage erkennen und die Intentionen eines Autors richtig deuten. Das ist Nohl/Himmelheber zweifellos gelungen. Nohl ist der Ansicht, Mitchells Roman sei bisher verkannt worden. 

Abgesehen von dieser Problematik haben es Übersetzer auch in weniger kritischen Passagen wahrhaftig nicht leicht, Stimmungen und Gedankengänge korrekt zu übertragen und verständlich zu machen. Manchmal ist es ein einziges Wort, das ausreicht, um eine andere Sichtweise zu ermöglichen. 

Eine feine Nuance

Wie schon der erste Satz des Romans ist auch der letzte aufschlussreich für die Komplexität der Übersetzung. Tomorrow is another day (Morgen ist auch ein Tag) heisst es im Original, was von Nohl/Himmelheber in Morgen ist ein neuer Tag uminterpretiert wird. Eine feine Nuance nur, aber Nohl sieht in der Formulierung unendlich viel mehr Dynamik und Lebensfreude als in der Mitchell-Fassung. 

Und um den Kreis zu schliessen: Der erste Satz des Romans in deutscher Sprache beginnt bei Nohl/Himmelheber anstelle des verdrechselten „Scarlett O’Hara war nicht eigentlich schön zu nennen” (von Beheim-Schwarzbach) mit den klaren Worten: „Scarlett O’Hara war keine wirkliche Schönheit.”