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Kultur

Komponist Paul Hindemith
im Turm des Kuhhirten

Notizen über den Kuhhirtenturm in Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, in dem nicht nur ein „Cowboy” wohnte, sondern auch der Komponist Paul Hindemith. (Foto: stock.adobe.com)

Obwohl ich einige Jahre als Kind (1940-1944, Elisabethenstraße) und Jugendlicher (1946- 1960, Wallstraße) in direkter Nachbarschaft zum Frankfurter Kuhhirtenturm in Sachsenhausen lebte, und hundertfach durch Paradiesgasse und Große Rittergasse tobte, an deren Schnittpunkte der Turm steht, konnte ich mich für das burgartige Gemäuer, das auch als „Elefant” bekannt war (und ist), nicht erwärmen. 

Der 1490 im spätgotischen Stil erbaute Turm wirkte inmitten der Sachsenhäuser Altstadthäuschen wie ein Fremdkörper, was auch nicht wundert, denn als Teil der Sachsenhäuser Stadtmauer  – außer Elefant gehörten noch die Wehrtürme Weißes Ross, Rehkalb und Pulverturm zur Befestigung –, hatte er nur die Aufgabe, den vorbeifliessenden Main und dessen Uferbefestigung zu kontrollieren und die Bürgerschaft vor anderen drohendem Angriffen zu bewahren.  Eine wehrhafte Angelegenheit  also, und gerade in den Kriegsjahren wenig erbaulich.

Unberührt von solchen negativen Erinnerungen hat der Turm  — viergeschossig und quadratisch angelegt, eine Dachpyramide überragt das eigentliche Gemäuer  — , kulturhistorische Bedeutung, denn in ihm wohnte einige Jahre der Komponist Paul Hindemith (1895-1963), zu dieser Zeit Konzertmeister am Frankfurter Opernhaus. Die Geschichtsschreibung erzählt, Hindemith habe 1923 von der Stadt Frankfurt das Angebot erhalten, den Turm auf eigene Kosten zu renovieren und dort zu wohnen. Hindemith willigte ein. Das Geld für den Ausbau erwarb er im Inflationsjahr 1923 durch einen Kompositionsauftrag des Wiener Pianisten Paul Wittgenstein, der das Honorar in Dollar auszahlte. 

Mit dem Flaschenzug nach oben

Bei weiteren Nachforschungen erfahre ich von Umzugsproblemen. Als  Hindemith in den Turm einziehen wollte, erwies sich das Innere als so eng, dass die Möbel mit einem Flaschenzug nach oben gehievt und durch die Fenster eingebracht werden mussten. Bis 1927 wohnte Hindemith mit Familie im Gebäude; als er mit seiner Frau nach Berlin zog, lebten Mutter und Schwester bis zu den Bombenangriffen 1943 im Turm, Hindemith war vor seiner Emigration in die USA (1938) häufiger Gast.

Der Kuhhirtenturm In Frankfurt am Main (Foto:boridb17 / Stock.adobe.com)

Als 1957 direkt nebenan die internationale Herberge „Haus der Jugend” entstand, wurde der wundgeschlagene Kuhhirtenturm in das Konzept einer Begegnungsstätte integriert, heute wird er nach einer aufwendigen Modernisierung 2010 vom Hindemith-Institut Frankfurt als Hindemith Kabinett genutzt: —  eine Dauerausstellung über Leben und Werk des Komponisten. Ein Musikzimmer im vierten Obergeschoss bietet Raum für kleine Konzerte und andere Veranstaltungen. Zur Erinnerung an vergangene Zeiten wurden zwei Tafeln des Frankfurter Bildhauers Georg Krämer an der Außenfassade neben dem Eingang angebracht. Auf der einen wird auf die historische Bedeutung des Turms hingewiesen, auf der anderen auf das Leben des Komponisten.

Aufgehübscht

Wenn ich heute vor dem Kuhhirtenturm stehe, sehe ich eine helle, lebendige Farbe auf den Mauern. Das Dachgeschoss ist mit Schiefer bedeckt, die dortigen Fenster lassen genügend Licht in das Innere. Die Ansicht unterscheidet sich deutlich von den Erinnerungen meiner frühen Jugend, als ich das Bauwerk als grau und hässlich, sogar bedrohlich empfand. Fast täglich lief ich die etwa 100 Meter von der Elisabethenstraße zum Turm, vorbei an Paradiesbrunnen, Kneipe, Schrotthandel und Modehaus. Es ging nur darum, durch die (hoffentlich geöffnete) Pforte zu schlüpfen, um möglichst schnell an den Main zu gelangen. 

Der Kuhhirtenturm selbst, der seinen Namen erhalten hatte, weil er zeitweise als Unterkunft für einen Sachsenhäuser Viehhirten diente, der die Tiere täglich auf den Sachsenhäuser Berg und in den Stadtwald trieb, war für mich uninteressant…