Der Weißstorch, auch Adebar genannt, beherrscht das rechtsrheinische Hessische Ried zwischen den Metropolen Frankfurt und Mannheim. Fast ein Drittel der in Hessen lebenden Störche haben ihre „Eigenheime“ im Landkreis Groß-Gerau gebaut, hausen auf künstlich errichteten Nistplätzen, Schornsteinen, Dächern, Kirchen, gelegentlich auch auf Bäumen und sogar auf für sie lebensgefährlichen Strommasten. Von den hier lebenden Menschen sind sie meist wohlgelitten, weil sie als „Babyanlieferer“ einen fabelhaften Ruf geniessen. Warum ist das so?
In Zeiten verklemmter Prüderie trauten sich Eltern nur selten, ihren neugierig gewordenen Kinder die Wahrheiten von Zeugung und Geburt nahe zu bringen, was das Märchen vom „Klapperstorch“ gebar. Doch warum musste gerade der Storch für die Notlüge herhalten? Wahrscheinlich weil Kängurus, die als Beuteltiere dafür ideal gewesen wären, in unseren Breitengraden nicht leben, die bösen Wölfe (siehe „Rotkäppchen“) ohnehin Kinder fressen, von den aggressiven Bären ganz zu schweigen. Der Elefant zu groß, andere Tiere zu hässlich oder zu klein, was auch auf die meisten Vögel zutrifft. Der mit langen Schnäbeln ausgestattete Storch indessen groß genug, um auch die Last eines Babys im Flug tragen zu können.
Daheim ist es am schönsten
Vielleicht wegen dieser „Klapperstorch“-Legende liegt den Menschen das Wohlergehen der weißen Vögel besonders am Herzen. Mit Erstaunen wird jedoch beobachtet, wie sich das Verhalten der Zugvögel in den vergangenen Jahren verändert hat. Flogen die Störche einst vor Wintereinbruch westlich am Mittelmeer vorbei nach Afrika, brechen sie immer häufiger den Flug vorzeitig ab und suchen sich Quartiere in Spanien oder Portugal. Selbst dieser „Kurztrip“ wird neuerdings weniger genutzt. Zunehmend werden Storchenpaare beobachtet, die einfach zu Hause bleiben; in den vergangenen Jahren waren es Hunderte. Motto: „Bleibe im Land und nähre dich redlich.“ Bernd Petri, Ornithologe vom Naturschutzbund Deutschland (NABU): „Wir beobachten schon seit Jahren, dass sich das Zugverhalten ändert.“
Die Ursachen sind zwar noch nicht eindeutig geklärt, naheliegend ist der Gedanke an die Klimakrise, weil in den milderen Wintern ausreichend Nahrung – Mäuse, Würmer, Fische, Insekten und Abfall auf offenen Mülldeponien (wie zum Beispiel im südhessischen Büttelborn) – zu finden ist. Denn die Störche traten ihren Flug nie wegen der Kälte an. Ihre Zugvogel-Mentalität ist einzig der früheren Nahrungsknappheit im mitteleuropäischen Winter geschuldet. Petri über das gemütliche Daheimbleiben der Störche: „Bleiben die Vögel hier, ersparen sie sich den kräftezehrenden Zug, sind früher als ihre ziehenden Artgenossen in den Brutgebieten und können so die besten Neststandorte besetzen.“
Der ungewohnte Anblick der Weißstörche in den Wintermonaten führt allerdings dazu, dass sich viele Naturfreunde wegen möglicher Erfrierungen Sorgen um die Störche machen. „Dafür gibt es keinen Grund“, so Petri. „Dem Storch als großem Vogel macht die Kälte kaum etwas aus, da er die Wärme besser speichern kann als kleine Singvögel wie Meise und Spatz – und die überwintern schließlich auch bei uns.“ (Text mit NABU-Presseinformationen)