Es ist der Klassiker schlechthin, wenn es darum geht, das Frühlingserwachen zu beschreiben. Er ist’s hat Eduard Mörike (1804-1875) den kleinen Vers überschrieben, und es ist das erste Gedicht, dass ich als Schulbub in der Frankensteiner Schule in Frankfurt auswendig lernen durfte. Wenn langanhaltende und kalte Winter die Großstadt heimsuchten, war das Warten auf den Frühling, eingebettet in das Herbeisehnen von lauer Luft und leuchtenden, wärmenden Sonnenstrahlen, gerade an schnee- oder regenreichkühlen Tagen ein beherrschender Wunsch.
Diese eigenen Sehnsüchte und Eduard Mörikes Worte gehen Hand in Hand. Ich habe mich wie Mörike nach blaubeflutetem Himmel gesehnt wie so viele andere Menschen vorher und nachher. Mörikes lyrische Einlassung vom „blauen Band“ hat schon Generationen begleitet und wird auch heute noch an den Schulen gelehrt, schon in der ersten Klasse.
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!
Nüchtern betrachtet beginnt für Meteorologen der Frühling am 1. März, für Astronomen ist der 21. März das Maß der Dinge, fest eingebrannte Tage in den Kalendern. Doch beide Daten sind mit dem Verstand gemacht, rationale Festlegungen, die nichts mit Empfindungen gemein haben. „Frühlingserwachen“ ist indessen (viele Lyriker und Prosadichter haben es beschrieben) eine Sache des Gefühls, des Erlebens, und auch des „Riechens“, das wohl jeder schon am eigenen Leib erfahren hat.
Wer vor die Tür tritt, durch Wald und Flur wandert und die frische Luft atmet, wird nicht nur den Frühling spüren, sondern ihn auch sehen. Im eigenen Garten genauso wie auf Wiesen und Auen. Blüten kriechen aus dem kargen Boden, erste Schneeglöckchen öffnen keck ihre Blüten. Krokusse, Glockenblumen, Primeln, Gänseblümchen und Narzissen erfreuen die Herzen; und Forsythien-Büsche voller gelber Blüten, prägen Vorgärten oder Straßenränder.
Wer das sieht, hört insgeheim nicht nur den leisen Harfenton von Mörike, er hat den Frühling selbst vernommen, diese aufregend wundervolle Jahreszeit, die den „hässlichen“ Winter hinter sich lässt, und die Luft mit Hoffnung und Lebensfreude erfüllt: Erkennungsmelodie der eigenartig-schönsten Jahreszeit. Um es mit Goethe zu sagen: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche…“