Kategorien
Reise

Von Goldstrand über die Dobrudscha nach Kaliakra

Auf der Fahrt vom sonnigen Goldstrand Zlatni Piasatzi zum sagenumwobenen Kap Kaliakra bin ich wegen Straßenbauarbeiten und einer größeren Umleitung bei Balcic ins Hinterland der bulgarischen Dobrudscha abgetrieben worden, jenem Landstrich, der sich vom Donaudelta in Rumänien über die südliche Landesgrenze hinweg bis nach Varna zieht, und im Osten vom Schwarzen Meer begrenzt wird. Meine nun etwas planlos gewordene Fahrt in einem alten Lada führt mich über rund 80 Kilometer durch Ansiedlungen wie Hrabavo, Senekos, Dropla, Kavarna und Balgarevo. Doch der ungewollte Umweg durch die Korn- und Gemüsekammer Bulgariens lohnt sich, denn oft habe ich mich gefragt, was sich weit hinter den schillernden Fassaden der Badeorte Goldstrand und Albena verbergen mag, wie die Landschaften „jenseits der Hügel“ aussehen, wie die Menschen dort leben und arbeiten.

Schier endlos ziehen sich die schmalen Straßen durch das karge Land. Zerrissene Asphaltdecken, geschotterte Passagen, immer wieder auch Schlaglöcher, die mich durchschütteln. Geradezu schnurgerade geht es von Ort zu Ort. Weite Felder lassen den Blick über Äcker schweifen, Buschwerk unterbricht den Blick zum Horizont, die Dörfer sehen noch aus wie vor Jahrzehnten, die Zeit scheint stehengeblieben. Es begegnen mir Traktoren und Pferdefuhrwerke; Kühe und Ziegen „schlendern“ neugierig umher blickend und gemessenen Schrittes über die Straßen. Eile ist nicht geboten.

In einem der Dörfer mache ich kurze Rast, bestelle in einem Gasthaus eine Portion Joghurt, die in halbkugelförmiger Form auf den Tisch gestellt und mit reichlich Zucker bestreut wird. Da ich der Landessprache nicht mächtig bin, scheint es schwierig zu sein, ein Gespräch über Land und Leute zu führen. Doch ich habe Glück. Im Lokal treffe ich einen Tourismus-Menschen eines Reisebüros. Georgi Bikov spricht Deutsch, und er erzählt von der harten und beschwerlichen Arbeit der Bauern, und ihrer sozial schwierigen Lage. 

Schatz der Thraker

Der junge Mann, ein smarter Reiseleiter-Typ, zählt  auch historische Fakten auf. Er ist in seinem Element, als er von der wechselvollen Geschichte der Dobrudscha erzählt, die hauptsächlich in Rumänien liegt. Der Nordosten Bulgariens ist nur ein Teilstück, das nach der vorübergehenden Annektierung durch Rumänien 1940 wieder an Bulgarien fiel.

Jahrhunderte lang tummelten sich hier die Römer, danach fiel die Herrschaft an Byzanz. Slawen vermischten sich mit Thrakern, die zu den ursprünglichen Bewohnern zählten, was auch 1972 bestätigt wurde, als in der Nähe von Varna der „Goldschatz der Thraker“ aus viertausend Jahre alten Grabhügeln geborgen wurde. Heutzutage ist dieser Schatz in einem Museum in Varna zu besichtigen. Viele Völker lebten und leben in der Region, darunter auch viele Deutsche.

Die rötlich verwitterten Klippen von Kap Kaliakra. (Foto: Velizar Godeev/stock.adobe.com)

Und dann Kaliakra? Die Landzunge ragt fast zwei Kilometer ins Schwarze Meer hinein, und bis zu seiner „schönen Spitze“, wie es grob übersetzt heisst, ist nach Zahlung einer Eintrittskarte (zirka 1,50 Euro) ein Fußweg von fast eineinhalb Kilometern zu bewältigen. Die vom Meer ausgewaschenen, zerklüfteten Felsen schimmern je nach Sonnenstand rotgolden in der flirrenden Luft, was indessen am besten aus der Ferne zu sehen ist. Auf dem Fußmarsch sehe ich einen Akkordeon-Spieler, der sich im Schatten einer Mauer niedergelassen hat und abwechselnd schwermütige und heitere Melodien spielt.

Militär-Stützpunkt

War es in der kommunistischen Zeit eher still um die rund 70 Meter hohen Felsen, weil sich hier im Rahmen des Warschauer Paktes ein sowjetischer Militär-Stützpunkt befand, gibt es jetzt Restaurant, Café, Hotel, historische Ruinen, Überreste von  alten Festungsmauern und einige Denkmäler, Windräder und Sendemasten: und natürlich Souvenirs aller Art. Hungrigen Gästen werden Muscheln serviert, gebackener Schafskäse mit Pita-Brot, ein schmackhafter Fleischeintopf mit dem Namen Kavarma Kebap, dazu ein frischer Salat, bekannt als Schopska-Salada.

Kaliakra hat schon immer die Fantasien der hier lebenden Menschen beflügelt. So erzählt eine Sage vom Heiligen Nikolaus, der auf der Flucht vor den heranrückenden Türken der Schwarzmeer-Küste immer näher kam. Der liebe Gott habe deshalb das Festland immer weiter ins Meer hinaus verschoben, um Nikolaus zu retten. Die Verfolger machten Nikolaus jedoch dingfest und er starb den Märtyrertod, woran eine kleine Kapelle erinnert. Ein anderes Märchen vom Kap besagt, ein Mädchen namens Kaliakra habe sich mit  vielen anderen jungen Frauen ins Meer gestürzt, um angesichts der Eroberung Bulgariens durch die Osmanen nicht in einem Harem zu enden.

Natur und Windkraft

Kap Kaliakra ist ein Naturparadies für Pflanzen und Tiere. Wer Glück und Geduld hat, kann von den Klippen aus Delfine und Robben beobachten, wenn sie sich fröhlich und ausgelassen im Meer tummeln. Über 40  Vogelarten haben hier ihre Heimstatt, Zugvögel benutzen das Kap als Orientierungspunkt für ihre langen Reisen. Umso bedauerlicher ist, dass gegen den Willen bulgarischer Naturschützer von der Regierung die Errichtung  eine riesige Windpark-Anlage durchgesetzt wurde, die immer wieder Vögel in den Tod reisst. 

Innerhalb weniger Stunden habe ich auf meiner kleinen Erkundungsreise ganz verschiedene Einblicke in das bulgarische Leben erhalten. Auf der einen Seite habe ich die Badeinseln Goldstrand und Albena mit ihrem teils hektischem Getriebe erlebt, auf der anderen Seite – nur wenige Kilometer entfernt – die einsame Landschaft der Dobrudscha durchquert und zuletzt das Ausflugsziel Kap Kaliakra mit seinen positiven und negativen Eigenschaften besichtigt: Bulgarien hat vieles zu bieten…