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Zeitgeschichte

Lorscher Arzneibuch von schlauen Medizinmännern

Warum denn in die Ferne schweifen? Sieh’ das Gute liegt so nah! Das Gute und Interessante ist das in Südhessen liegende Kloster Lorsch, seit 1991 Weltkulturerbe der UNESCO. Eine meiner Erkundungstouren in in die nähere Umgebung meines Wohnortes führt mich in das Städtchen Lorsch, das eingezwängt zwischen Hessischem Ried und dem Naturpark Bergstraße-Odenwald liegt. Die Autobahnen A 5 und A 67, die aus dem Rhein-Main-Gebiet in das Rhein-Neckar-Zentrum führen, durchschneiden westlich und östlich die Landschaft, nördlich begrenzen die Bundesstraßen 47 und 460 die Gemeinde und trennen sie vom Örtchen Einhausen. Die Entfernung nach Lorsch beträgt vom Heimatort Walldorf noch nicht einmal 50 Kilometer, eine kurze Wegstrecke also; und ein durchaus einleuchtender Grund für eine Stippvisite.

Bei einer Führung vor Ort erschließen sich Details über das Kloster Lorsch. Die Benediktiner-Abtei wurde demnach um 764 von der Familie des fränkischen Grafen Cancor gegründet, und nur acht Jahre später an Karl den Großen übertragen. Mit diesem Wechsel wurde Lorsch zugleich Königs-, und später Reichskloster, was insofern von Vorteil war, als mit diesem Status den ständigen materiellen Begehrlichkeiten der umliegenden Bischöfe und Adeligen ein Riegel vorgeschoben wurde. Gleichwohl fiel das Kloster 1232 an die Herren von Mainz und wurde von diesen 1461 an die Kurpfalz verpfändet. 

Renovierung

Im Zusammenhang mit der Reformation wurde Lorsch nicht mehr gefördert und bald aufgelöst. Den Rest erledigten spanische Truppen, die die Klosteranlage im Dreißigjährigen Krieg völlig zerstörten. Auch wenn nicht mehr viel von den ursprünglichen Gebäuden übrig war, und über Jahrhunderte nichts zur Erhaltung geschah, wurde in den vergangenen Jahrzehnten das Übriggebliebene in dem parkähnlichen Gelände am östlichen Rande von Lorsch liebevoll restauriert. Dazu gehört vor allem die Königshalle, die für das Publikum  immer wieder ein Anziehungspunkt ist.

Im Kloster Lorsch ist aber auch das „Lorscher Arzneibuch“ entstanden, das als die älteste medizinische Niederschrift des frühen Mittelalters gilt. Das Buch wurde Ende des 8. Jahrhunderts von Mönchen verfasst, aber bereits vor 1000 Jahren von Kaiser Heinrich II nach Bamberg überführt, wo es zu einem wichtigen Bestandteil der Handschriftensammlung der dortigen Staatsbibliothek geworden ist. 

Für medizinische Fachleute, aber auch für interessierte Laien ist das Arzneibuch seit einiger Zeit in einer voll digitalisierten Fassung einsehbar, und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Der Hauptinhalt besteht aus 482 Ratschlägen zur Heilung, bestehend vor allem aus der Mixtur verschiedener Kräuter. Manchmal obskur und irritierend aus heutiger Sicht, zeugen die Eintragungen verschiedener Art von viel Wissen über die Kräuterwelt.

Weltdokumentenerbe

Die herausragende Bedeutung dieses Dokuments mittelalterlicher Medizin wurde bestätigt, als es im Juni 2013 in das UNESCO-Register des „Weltdokumentenerbes“ aufgenommen wurde. Auf der Webseite der deutschen UNESCO-Kommission ist zu lesen:

„Das Buch stellt einen Meilenstein in der Medizingeschichte dar. Es ist ein einzigartiges Zeugnis für die Neubewertung der antiken Medizin im Zuge der karolingischen Renaissance unter Karl dem Großen. Die Erkenntnisse der antiken Medizin werden mit christlichen Glaubensinhalten verbunden.“

Was sich aus diesen Sätzen kaum erschließt, hat jedoch große Bedeutung, denn die Veränderung in der Bewertung des Arzneibuches glich fast einer Revolution. Hatte die Kirche in früheren Zeiten die Behandlung kranker Menschen nämlich als nicht erlaubten Eingriff in den göttlichen „Heilsplan“ verurteilt, wurden die aus dem Lorscher Arzneibuch erwachsenden Hilfsmöglichkeiten bald als eine erlaubte Form christlicher Nächstenliebe interpretiert. So schätzt auch die UNESCO die veränderte Denkweise ein.

Und so dürften auch einige der folgenden Hinweise dem einen oder anderen Leidenden durchaus bei seinen Beschwernissen geholfen haben (oder auch nicht). Im Ratschlag Nr. 173 heisst es zum Beispiel im Hinblick auf eine bekannte Pflanze: „Odermenning mit Essig aufgelegt entfernt die Warzen. Desgleichen: Streich Vogelmist mit frischem Mäuseblut auf. Desgleichen: Man bestreicht die Warzen mit Natron und ein wenig Honig, bis sie abfallen.“

Falls ein Mensch gebissen wird, sollte bei ihm nach Ratschlag 183, „gesiebte Asche mit Essig aufgelegt werden, worauf der Patient unverzüglich geheilt wird.“ Und gegen „Durchbohrungen, verursacht durch Klingen oder Stangen“ (Absatz 179) gibt es auch ein Mittel: „Man zerstösst Odermenning und legt das auf: es hilft wunderbar!“


PINNWAND: „Der Gewöhnliche Odermennig (Agrimonia eupatoria), auch Gemeiner Odermennig, Ackerkraut, Ackerblume und Kleiner Odermennig genannt, ist eine Pflanzenart in der Unterfamilie der Rosoideae innerhalb der Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Sie ist in Eurasien weit verbreitet.“ (zitiert aus Wikipedia)