Der Anblick ist faszinierend. Inmitten des großzügig angelegten, runden Platzes, einem Kreisverkehr mit Parkplätzen an den Rändern, steht das gedrungen wirkende, bullige Bauwerk mit grünen, leicht angerosteten Dächern wie ein Klotz vor dem Touristen; Blumen, Hecken und Bäume der naheliegenden Parks spenden nur wenig Schatten. Im Licht der untergehenden Sonne glänzen zwei vergoldete Kuppeln; die grössere ist 52 Meter hoch. Ich stehe in Sofia vor der Alexander Newski-Kathedrale, dem wichtigsten Wahrzeichen der bulgarischen Hauptstadt. Trotz des Verkehrsgewimmels strahlt die Kirche Ruhe aus. Ein Ort der Einkehr und Besinnung.
Mehrmals besuchte ich in den vergangenen Jahrzehnten die bulgarische Hauptstadt und jedes Mal, geplant oder zufällig, führte mich mein Weg zu diesem imposanten, fast stufenförmig angelegten Kirchenpalast im Zentrum. Das erste Mal sah ich die Kathedrale, als ich bei einem Stadtrundgang von einem Fremdenführer aus der Altstadt mit ihren engen Gassen und kleinen Läden zu dieser Kirche geführt wurde. Von diesem gepflastertem Platz aus startete ich zu einer Auto-Rallye nach Varna ans Schwarze Meer und später mit einem Freund über Rosental und Schipka-Pass nach Veliko Tarnovo; zuletzt fuhr ich von dem Rondell aus mit einem Touristenbus zum Rila-Kloster. Der Reiz, diese Kathedrale anzusteuern, ist geblieben…
Kurze Bauzeit
Obwohl nicht religiös geprägt, haben mich seit jeher pompöse, verschwenderisch angelegte Sakralbauten dieser Art beeindruckt. Unglaublich, welche Arbeitskraft und welche Geldsummen aufgebracht werden mussten (und müssen), um nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten (siehe Kölner Dom oder die Sagrada in Barcelona), die Kirchen fertig zu stellen. Legt man die Sagrada zugrunde, war die Bauzeit in Sofia mit acht Jahren nur ein Wimpernschhlag. Fünfeinhalb Millionen Gold-Lewa soll das Bauwerk gekostet haben, welche Euro-Summe sich dahinter heutzutage verbergen würde, lasse ich offen. Gespendet wurden die Gelder hauptsächlich von privaten Mäzenen; es flossen allerdings auch staatliche Zuschüsse.
Im Umfeld der Kirche und in der Stadt informieren Prospekte, Informationstafeln, Bücher oder Schriften über die Geschichte der Kathedrale. Es geht mir allerdings weniger um ein Eintauchen in die historischen Gegebenheiten, sondern um die Eindrücke, die das Bauwerk auf Besucher ausübt. Deshalb nur wenige Fakten.
Zwölf Glocken aus Moskau
Die Kathedrale wurde errichtet, um die russischen Soldaten zu ehren, die im Russisch-Türkischen Krieg 1877-1878 starben, was zur Befreiung Bulgariens von der osmanischen Herrschaft führte. Benannt wurde sie nach Alexander Jaroslawitsch Newski, Fürst, Feldherr und Heiliger der orthodoxen Kirche, der in Nowgorod, Kiew und Wladimir herrschte und als russischer Nationalheld gilt. Der Spatenstich erfolgte 1904. Fertig gestellt 1912 und 1924 geweiht, zählt sie vom Volumen her zu den 50 größten christlichen Kirchengebäude weltweit. Fünf Kirchenschiffe unterschiedlicher Größe zieren das Bauwerk. Im Hauptturm hängen zwölf unterschiedlich große in Moskau gegossene Glocken; die schwerste wiegt fast zwölf Tonnen, die kleinste nur 10 Kilo.

Doch nicht nur der äussere Anblick der Kathedrale ist beeindruckend, auch die Schätze, die sich im Inneren verbergen, sind ein Augenschmaus. Marmorverkleidung, Wandmalereien und 82 Ikonen – Werke bulgarischer, russischer und tschechischer Maler – imponieren ebenso wie Glasmalereien und Fresken. Wer immer in Sofia zu tun hat, ob als Geschäftsmann oder Tourist, sollte sich jedenfalls Zeit nehmen, um diesem außergewöhnlichen Ort einen Besuch abzustatten.