Vom Versandhändler flattert ein Inserat ins Haus. Für knapp 10 Euro ist eine DVD des Filmklassikers Das Haus der Lady Alquist (Originaltitel: Gaslight) zu erstehen; fast zeitgleich erreicht mich der Hinweis eines Streaming-Dienstes, der mir den MGM-Thriller von 1944 für 3.99 zum Anschauen anbietet. Die Angebote erinnern mich an frühe, unbedarft-schräge Überlegungen zu einen Film, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die deutschen Kinos kam, das Genre der Psycho-Thriller bereicherte und längst als Klassiker gilt.
Als junger Mann erschien mir in den Fünfziger Jahren der Handlungsablauf jedoch höchst irritierend. Warum? Pianist Gregory Anton (Charles Boyer) ermordet aus krankhafter Habgier die Sängerin Alice Alquist, findet am Tatort jedoch keineswegs die von ihm heiß ersehnten Juwelen. Der Mörder geduldet sich nun Jahre, heiratet dann die erwachsen gewordene Alquist-Nichte Paula (Ingrid Bergman), zieht mit ihr in das leerstehende Haus ihrer Tante, weil er dort die Edelsteine versteckt in alten Möbelstücken auf dem Dachboden vermutet. Das Abwarten wirkt unglaubhaft und umständlich, Weshalb ist er nicht Jahre früher in das leer stehende Haus eingestiegen?
Schleichweg durch die Nacht
Irritierend auch sein weiteres Vorgehen. Anton scheut bei seiner Suche sogar den direkten Weg über die Stiege, verbarrikadiert die Tür, verlässt nachts die Villa, schleicht sich über Nachbargrundstücke zurück auf den Dachboden. Sein Verhalten leuchtet mir nicht ein, zumal Antons fieberhafte Suche im Gerümpel nicht geräuschlos vonstatten geht. Er macht Krach, das Gaslicht im Haus flackert oder erlischt. Das unerklärliche Rumpeln erschreckt die allein gelassene Ehefrau, macht ihr Angst, neurotische Attacken sind unausweichlich, sie gerät in Panik. Die Treppe im Inneren des Hauses zu benutzen, so scheint mir, wäre einfacher gewesen.

Erst später lernte ich, dass Filmemachen (wie in jedem drittklassigen Fernsehkrimi zu beobachten) wenig mit Glaubwürdigkeit zu tun hat. Fesselnde Erzählungen vertragen keinen Realismus. Welcher Produzent, Autor oder Regisseur möchte sich ausgedachte oder auf Wahrheit beruhende Geschichten kaputtmachen lassen? Bei einem Altmeister des Spannungskinos lese ich:
„Wenn man alles nach Erwägungen der Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit konstruieren (wollte), dann würde keine Spielfilmhandlung entstehen und es blieb nur noch eines übrig: Dokumentarfilme zu drehen.“
Alfred Hitchcock im Gespräch mit seinem Kollegen Truffaut
Es mit der Wirklichkeit nicht genau zu nehmen, ist demnach ein legitimes Stilmittel, das von Regisseur George Cukor in Gaslight ausgiebig genutzt wurde, obwohl das dem Film zugrunde liegende Theaterstück Gaslight von Patrick Hamilton eher Kammerspiel-Charakter hat. Schattenspiele, hallende Schritte der Konstabler in neblig-trübem London gehören zur Verfeinerung des Geschehens. Nach vielen Jahren erst begriff ich, welch geschickter Kriminalfilm Das Haus der Lady Alquist war (und ist), Logik einmal ausser acht gelassen.

Der hartnäckige und Paula Almquist zugetane Scotland Yard-Ermittler Cameron (Joseph Cotten) und das schnippische Hausmädchen Nancy (Angela Lansbury als 17-Jährige in ihrer ersten Rolle) sorgen für zusätzlichen Reiz, denn beide sorgen mit ihren Auftritten für notwendige Ruhepunkte und Abwechslungen im mörderischen Spannungsspiel von Angst und Schrecken.
PINNWAND: Das Haus der Lady Alquist, Schwarz-Weiß Thriller von Metro Goldwyn-Mayer (USA, 1944) nach einem Theaterstück von Patrick Hamilton. Regie: George Cukor. Drehbuch: John Balsterston, Walter Reisch, John van Druten. Kamera: Joseph Ruttenberg. Musik: Bronislaw Kaper. Darsteller: Ingrid Bergman (Paula Alquist – Bergman wurde für die Rolle mit einem Oscar ausgezeichnet), Charles Boyer (Gregory Anton), Joseph Cotten (Detektiv Brian Cameron), Angela Lansbury (Hausmädchen Nancy).