Elizabeth Taylor war elf Jahre alt, als sie in Heimweh zusammen mit dem Filmhund Lassie die Menschen berührte, Judy Garland war 13, als sie in Broadway-Melodie begeisterte und zwei Jahre später in Das zauberhafte Land (Der Zauberer von Oz) zu Weltrum gelangte. Mickey Rooney trat im Alter von 16 Jahren als Schuhputzer in Der kleine Lord auf und gehörte zwei Jahre später zu den Stars in Teufelskerle. An diesen Hollywood-Beispielen ist erkennbar, dass die Geschichte des Films ohne die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen kaum denkbar ist. Ihr ungekünsteltes Auftreten verhalf (und verhilft) so manchem Filmprodukt zu Ruhm und füllt die Kassen. Das gilt nicht nur auf internationaler Bühne, sondern auch auf nationaler Ebene.
An diese US-Berühmtheiten wurde ich erinnert, als ich dieser Tage das Buch Filmkind unter der UfA-Raute des Leipziger Autors Jens Rübner in die Hände bekam. Rübner berichtet auf über 200 Seiten über Aufstieg oder Fall ehemaliger deutscher Filmkinder, die freilich nicht alle nur dem UfA-Imperium als Staffage dienten. Die Spurensuche nach Lebensläufen samt familiärer Hintergründe der Kinderstars erwies sich für Rübner nach eigenen Angaben oft als schweißtreibende Detektivarbeit. Doch die Nachforschungen dürften sich gelohnt haben, denn es entstand ein Buch, das für Filminteressierte zum wertvollen Nachschlagewerk werden könnte. Rübners Informationen über die „Rotznasen“ beziehen sich auf die Ufa-Zeit, klammern indessen andere Epochen und Produktionsfirmen nicht aus, was durchaus sinnvoll erscheint.
Wie bei den Major Companies der USA gab es auch in Deutschland seit Anbeginn des Filmemachens populäre Kinderstars, wenn auch in der Größenordnung mit Hollywood nicht vergleichbar. Einige bedeutende deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler begannen als Kinder mit ersten Auftritten auf Bühne oder in kurzen Stummfilmen, darunter Henny Porten und Curt Bois. Wer hätte das gedacht?
Richter, Möller und Hehn
Über viele andere der kleinen Sternchen, ob erfolgreich oder nicht, berichtet Jens Rübner mit Detailtreue und Genauigkeit. Für Filmfreunde des alten deutschen Films eine wahre Fundgrube. Ob von Hans Richter, Gunnar Möller, Oliver Grimm oder Inge Landgut erzählt wird: immer wird ein Stück deutscher Filmgeschichte lebendig. Der Blick auf diese Namen macht das sehr deutlich.
Hans Richter war zum Beispiel einer der Erfolgreichsten unter den deutschen Kinderstars. Richter war 1931 per Zeitungsinserat für Emil und die Detektive entdeckt worden, und hatte, noch bevor er 21 Jahre alt wurde, in 50 Filmen mitgewirkt. Als Pennäler (in Wirklichkeit schon 25 Jahre alt) glänzte er mit pfiffigem Gesicht, Sommersprossen und abstehenden Ohren in der Feuerzangenbowle aus dem Jahr 1944. Ihm haftete im deutschen Nachkriegsfilm allerdings das Etikett dieses ewigen Lausbuben und Clowns an, obwohl er längst künstlerisch mehr zu leisten imstande war. Richter war langjähriges Ensemblemitglied der Bühnen in Hamburg und Frankfurt sowie Gründer und Leiter der Festspiele in Heppenheim an der Bergstraße.
Auch Gunnar Möller (sein größter Filmerfolg war wohl Ich denke oft an Piroschka, 1957) schaffte einen nahtlosen Übergang von seinen Jungburschenrollen der Nazizeit (u. a. der Propagandafilm Junge Adler) ins deutsche Nachkriegsgeschäft, das im Westen von einigen interessanten Ausnahmen abgesehen eher Oberflächliches hervorbrachte. Möller, der 1979 in London wegen Totschlags an seiner Frau Brigitte Rau zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, hatte im Alter zwischen 12 und 17 Jahren bereits in zwölf Filmen mitgewirkt.
Sascha Hehn, heutzutage eine bekannte Fernsehgröße, und Sohn von UfA-Altmime Albert Hehn, wurden schon als Sechsjährigem erste Filmrollen zugeschanzt. Er spielte auch an der Seite von Gerlinde Locker in dem Heimatfilm Das Mädel aus dem Böhmerwald eine Bubenrolle. Hehn jr. schaffte trotz einiger Probleme einen erfolgreichen Übergang in die TV-Produktionen der Neuzeit (u. a. war er vier Jahre lang Traumschiff-Kapitän).
Oliver Grimm (Wenn der Vater mit dem Sohne) sowie Isa und Jutta Günther (Das doppelte Lottchen) gehörten als Kinder zu den Lieblingen des deutschen Publikums, sie kamen aber über spätere kleinere Filmrollen nicht mehr hinaus. Grimm schaffte es als Erwachsener auf kleine Theaterbühnen und hatte Nebenparts in Fernsehproduktionen, ehe er einem Krebsleiden erlag.
Die Stimme von Inge Landgut
Inge Landgut spielte 1931 als Achtjährige gleich in zwei bedeutenden Filmen mit: In Emil und die Detektive zusammen mit Hans Richter und in M – Eine Stadt sucht einen Mörder als Opfer des fieberhaft gesuchten Täters (Peter Lorre). Schon zuvor hatte sie in mehreren Stummfilmen mitgewirkt. Inge Landgut trat auch als erwachsene Frau in vielen Filmen auf und lieh bei der Synchronisation ausländischer Filme so berühmten Stars wie Olivia de Havilland, Sophia Loren und Esther Williams ihre einschmeichelnde Stimme.
Bilanzierend ist zu bemerken, dass viele Filmkinder nach dem Ruhm der ersten Jahre wie Sternschnuppen verglühten wie Helga Anders und Marion Michael. Nur wenige schafften den Sprung in die Erwachsenenwelt und wurden zu dauerhaft beachteten Künstlern, wie etwa Cornelia Froboess, die im Buch keinen Platz gefunden hat. Doch alle aufzulisten ist kaum möglich und würde jeden Rahmen sprengen.
Ob Rübners Beiträge über Zarah Leander, Lale Andersen und Leni Riefenstahl, obgleich mit hochinteressanten Details versehen, im Buch zwingend notwendig waren, sei dahingestellt. Auch wenn diese Frauen im weitesten Sinn oder auch direkt mit der UfA zu tun hatten, scheint mir ihre Anwesenheit in dem Druckwerk doch fehl am Platze: wenn man den Buchtitel wörtlich nimmt.
PINNWAND: „Filmkind unter der UfA-Raute“ von Jens Rübner, 2021 Engelsdorfer-Verlag Leipzig, ISBN 978-3-96940-150-7. – Preis: 19,90 Euro. – Bestellungen auch direkt beim Autor Jens Rübner, Platanenstraße 62, 04329 Leipzig. – Mail: defafan@web.de