Kategorien
Buch Zeitgeschichte

Alberto Angela über die
Tragödie von Pompeji

Was ist das für ein Genre? Sach- und Geschichtsbuch, Dokumentation, literarische Reportage, Roman? Von allem etwas, aber viel mehr. Alberto Angeles Buch Pompeji – Die größte Tragödie der Antike ist ein Thriller, ein Drama über Leben und Sterben der reichen und armen Leute in der beschaulichen Stadt am Fuße des Vesuvs im Jahre 79 nach Christus, als glühende Lava die Häuser zerfetzte und giftige Gase die Menschen in Sekundenschnelle im Tod erstarren ließ. 

Meine Erinnerungen an die Geschichte der kleinen Stadt am Golf von Neapel beruhen auf bruchstückhaften Bildern einer Geschichtsstunde, in der in 45 Minuten ergebnislos versucht wurde, eine der größten Katastrophen der Menschheit zu vermitteln sowie an zwei Filme oberflächlicher Machart (Der Untergang von Pompeji, USA, sowie Die letzten Tage von Pompeji, Frankreich/Italien), die Anfang der Fünfziger Jahre fast zeitgleich in die deutschen Kinos kamen. In späteren Jahren waren es weitere Hollywood-Schinken sowie Berichte im Fernsehen (Terra X), welche die Tragödie der römischen Stadt wieder ins Gedächtnis riefen.

Auf ganz anderem Level vertieft aber wurde der Gedanke an Pompeji von dem 1962 in Paris geborenen Italiener Alberto Angela. Der Autor studierte im Rom Naturwissenschaft, nahm an zahlreichen Ausgrabungen in Asien und Afrika teil, begeisterte sich für Archäologie und avancierte bald zu einen beliebten Verfasser historischer Bücher, die sich mit dem Leben der Römer befassten. Faszinierender Alltag im Römischen Reich, Liebe und Sex im alten Rom sowie Ein Tag im alten Rom wurden zu Bestsellern. Seine populärwissenschaftliche Sendungen im Fernsehen erzielten hohe Einschaltquoten.

Der Countdown

Angelas Buch über Pompeji ist jedoch das Spannendste und Interessante, was ich über die Tragödie gelesen habe. Das Buch ist kapitelweise als Countdown angelegt, beginnt 53 Stunden vor dem Inferno, schildert erst das vielfältige Leben der Menschen in schönen Bildern, endet nicht mit dem Untergang der Stadt, als bis auf wenige Ausnahmen das Leben in wenigen Minuten ausgelöscht wurde, sondern skizziert auch die Stunden und Tage nach der Katastrophe.

Pompeji-Ruinen mit dem schlafenden Vesuv im Hintergrund. (Foto: Alamy / Miwako)

Weil Angela sehr liebevoll Details beschreibt, entstehen intensive Eindrücke von der Stadt. Als Leser bin ich gefangen von der lieblichen Atmosphäre. Ich sehe die kleine Läden vor meinen Augen, die plaudernden Handwerker und Geschäftsleute, beobachte Müßiggänger , glaube Geräusche und Gerüchte wahrzunehmen, gewinne den Eindruck, selbst am Leben in den engen Straßen und Gässchen teilzunehmen, bin selbst der Mensch, der beim Bäcker harte Münzen gegen kleine Leckereien austauscht. Ich betrachte die vielen Fresken, oft erotischer Natur, was auf lockeres Leben der Römer hindeutet, und erlebe gerade wegen all dieser Eindrücke die Tragik des Untergangs umso intensiver. 

Alberto Angela hat ein empfehlenswertes Buch geschrieben. Er hat das  Leben der Menschen in Pompeji und einigen Nachbardörfern lebendig, die Sorgen und Freuden der einstigen Einwohner sichtbar gemacht: – vor, während und nach der Katastrophe. Das Schicksal von Pompeji bewegt noch heute, knapp 2000 Jahre später, die Menschen, was die Touristenzahlen ansteigen ließ. Vier Millionen Besucher in der freigelegten Stadt allein in 2024 zwang die Museumsleitung dazu, eine Limitierung einzuführen.


PINNWAND: Die italienische Originalausgabe von Pompeji – Die größte Tragödie der Antike ist 2014 unter dem Titel I the giorni di Pompei im Mailänder Verlag Rizzoli erschienen. Die hier besprochene deutsche Ausgabe stammt aus dem Goldmann-Verlag (München) der „Pinguin Random House Verlagsgruppe“ und wurde von Elisabeth Liebl übersetzt.