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Zeitgeschichte

Reporter Kisch, ein junger Schlosser und der Fall Redl

Der Spionagefall Alfred Redl erschütterte im Jahr 1913 die österreich-ungarische Monarchie. Der Verrat sollte erst vertuscht werden, doch der in späteren Jahren als „Rasender Reporter“ weltberühmt gewordene Egon Erwin Kisch machte den Fall öffentlich. Der junge Reporter und ein Schlosser spielten bei der Aufdeckung des Vertuschungsversuches durch die Militärkaste eine wichtige Rolle. Ingredienzen dieses Spionagedramas: Ein hochrangiger Offizier betreibt Spionage und erschiesst sich nach seiner Enttarnung, seine Vorgesetzten versuchen den Verrat unter den Teppich zu kehren, ein Fußballspieler lässt seine Mannschaft im Stich und ein Reporter zieht daraus seine Schlüsse… 

Der Fall des Generalstabschefs, der am 24. Mai 1913 als Spion entlarvt worden war, und sich auf massiven Druck der Obrigkeit noch in der Nacht Im damaligen Hotel Klomser in der Herrengasse 19 in Wien in der Nähe des berühmten Ferstel-Palais — durch dessen Passage er zunächst geflohen war — erschoss, ist schon einige Male verfilmt worden, meist etwas schlampig wie auch in dem Streifen „Spionage“, der gelegentlich immer mal wieder im TV zu sehen ist.

Der Journalist Egon Erwin Kisch („Der rasende Reporter“) hat im Sammelband seines Reportagebuchs „Prager Pitaval“ ausführlich über den Fall berichtet. Der Reporter hatte in Prag zunächst nur die offizielle Mitteilung des kaiserlichen Telegrafenbüros vom Selbstmord Redls in Wien zur Kenntnis genommen. Darin war behauptet worden, der hochbegabte Offizier Redl habe sich „in einem Anfall von Sinnesverwirrung erschossen“. Doch Kisch erfuhr durch einen merkwürdigen Zufall von der Durchsuchung der Redl-Wohnung in Prag und zog daraus seine Schlüsse. Reporterglück…

Ein Abwehrspieler fehlt

Am Sonntag hatte der Deutsche Ballspielklub Sturm Prag ein Fußballspiel gegen Union Holeschowitz ausgetragen und mit 5:7 Toren verloren. Unentschuldigt hatte Verteidiger Wagner gefehlt, was zu den vielen Gegentreffern geführt und den Obmann des Vereins, eben jenen Reporter Kisch; mehr als erzürnt hatte. Wagner, von Berufs wegen Schlosser, entschuldigte sich tags darauf beim Obmann Kisch und erzählte eher beiläufig, warum er unabkömmlich gewesen sei.

Das Ferstel-Palais in Wien. (Foto: Clipdealer)

Im Auftrag von Offizieren des Generalstabes habe er die Wohnung eines Generals aufbrechen müssen. Dort seien stundenlang Papiere , Zeichnungen und anderes Material sichergestellt worden. Kisch wurde hellhörig, fragte nach, erfuhr Details, das Wort Spionage war auch gefallen, wobei die Untersuchungskommission vor Ort  den Schlosser Wagner und dessen Anwesenheit in der Wohnung völlig ignoriert hatte.

Sinnesverwirrung?

Dass es sich nur um die Wohnung von Redl handeln konnten, war schnell klar. Klar war auch, dass die Gründe für Redls Selbstmord nicht in einer Sinnesverwirrung lagen. Kisch bereitete einen Bericht für das „Berliner Tageblatt“ vor, dessen Korrespondent er war. Denn er befürchtete zu Recht, dass eine Enthüllung in einer Prager Zeitung konfisziert würde. Nach einem Gespräch mit dem Chefredakteur griffen die Journalisten zu einem Trick und kleideten den Bericht in ein Dementi, um die damals übliche Zensur zu umgehen. Wer will sich als Zeitungsmensch so ein Bonbon auch entgehen lassen?

Egon Erwin Kisch selbst zitiert die veröffentlichte Meldung aus der „Bohemia“ auszugsweise in einer Reportage in seinem Buch „Prager Pitaval“:

„Von hervorragender Seite werden wir um Widerlegung der speziell in Offizierskreisen aufgetauchten Gerüchte ersucht, dass der Generalstabschef des Prager Korps, Oberst Redl, der bekanntlich vorgestern in Wien Selbstmord verübt hat, einen Verrat militärischer Geheimnisse begangen und für Russland Spionage betrieben habe. Die nach Prag entsandte Kommission, […] die am Sonntag die Dienstwohnung des Obersten Redl und die Schubfächer öffnen ließ, hatte nach Verfehlungen ganz anderer Art zu suchen.“

Die von der Zensur geplagte Öffentlichkeit verstand die Art dieses „Dementi“ sofort,  die Wahrheit ließ sich nicht länger verheimlichen. Alle Versuche der Militärs, den Verrat Redls unter den Teppich zu kehren, waren gescheitert.

Ursache für die Spionage von Redl war Erpressung. Das ist ja nichts Neues oder Außergewöhnliches in der Branche der Geheimdienste und Spione. Seine Auftraggeber hatten damit gedroht, seine Homosexualität aufzudecken, was in der damaligen Zeit das Ende seiner militärischen Laufbahn bedeutet hätte. 

Egon Erwin Kisch hat zwar nicht den Verrat Redls aufgedeckt, wie gelegentlich geschrieben wird, aber auf unnachahmliche Weise öffentlich gemacht. So ist der Fall Redl zu einem großes Thema jenes Jahres geworden, in dem der Erste Weltkrieg seine Schatten bereits voraus geworfen hat.