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Klingelnde Kinokassen bei der verteufelten „Sünderin“

Als der neue Willi-Forst-Film Die Sünderin 1951 im Frankfurter „Turmpalast“ aufgeführt werden sollte, hagelte es Proteste – vor allem von kirchlichen Institutionen. Wieder einmal erlebt Frankfurt am Main großen, aufwändigen Starrummel. Zur deutschen Erstaufführung  erscheinen Regisseur Willi Forst sowie die Hauptdarsteller Hildegard Knef und Gustav Fröhlich. Die Künstler verneigen sich artig vor dem Beifall klatschenden Publikum, doch bei den folgenden Gesprächen mit den Zeitungsleuten kommt auch reichlich Frust auf.

Vor allem Forst ist pikiert, weil sein Werk bei der Freiwilligen Filmkontrolle in Wiesbaden zunächst durchgefallen war. Willi Forst bittet die Journalisten deshalb  flehentlich darum, ihn in der Wirrnis des deutschen Nachkriegsfilms „nicht im Stich zu lassen“. Denn täte man dies, so der Wiener Regisseur im Hinblick auf kassenträchtige Heimatschnulzen wie „Schwarzwaldmädel“ oder die Revue-Schmonzette „Die Dritte von rechts“ ironisch-zynisch, dann würde es in Zukunft wohl nur noch „Das Dritte Schwarzwaldmädel von rechts“ geben.

Der Verdruss des Regisseurs war verständlich. Der Österreicher hatte schon bei den Vorbereitungen der Dreharbeiten erfahren müssen, dass das Thema seines Films nicht überall wohlgelitten ist. Denn Forst wollte den Film ursprünglich in München realisieren, musste jedoch kurzfristig in die Studios der Jungen Filmunion nach Bendestorf bei Hamburg ausweichen, weil ihm in Bayern aufgrund des strittigen Filmthemas kein Atelier zur Verfügung gestellt wurde. Weil in der Lüneburger Heide die Dreharbeiten dann ohne größere Aufmerksamkeit verlaufen sind, ahnt er nicht, dass sein Film bald Schlagzeilen in Deutschland verursachen wird.

Ablehnung

Die Aufregung um den melodramatischen Streifen beginnt drei Tage vor der geplanten Premiere am 18. Januar. Weil der Herzog-Verleih den Film zu spät bei der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) in Wiesbaden eingereicht hat, wird Die Sünderin erst am 15. Januar begutachtet. Die Mitglieder dieses Gremium lehnen jedoch die Freigabe des Films einstimmig ab. Vor allem die Vertreter der Evangelischen und Katholischen Kirche erheben Einspruch gegen die Tabuthemen Prostitution, Freitod und Tötung auf Verlangen, stoßen sich allerdings auch an einer kleinen Nacktszene von Hildegard Knef.

Die Geschichte des Films selbst wird in Rückblenden erzählt: In den frühen Nachkriegsjahren wird ein entwurzeltes Mädchen namens Marina zur Prostituierten, nachdem ihr Halbbruder sie sich zur bezahlten Geliebten genommen hat. Anfangs gefällt ihr das luxuriöse Leben sogar, doch die Liebe zu einem an einem Gehirntumor erkrankten Maler ändert das Leben der jungen Frau. Sie umsorgt ihn, behebt auch die finanziellen Probleme durch die zeitweilige Rückkehr zu ihrem alten Gewerbe und erspart dem langsam Erblindenden die letzten Qualen, indem sie ihn mit vergiftetem Sekt tötet. Nach einer Rückschau auf ihr Leben folgt sie dem Geliebten ebenfalls in den Tod.

Die Prüfer indessen halten es für nicht akzeptabel, dass die junge Frau die Prostitution „als einen selbstverständlichen Ausweg aus ihrer menschlichen und wirtschaftlichen Notlage wählt.“ Nach dem Verdikt aus Wiesbaden setzen Produktions- und Verleihfirma am 16. Januar eine FSK-Krisensitzung durch. Dabei äußert Forst, sein Film sei ein Kunstwerk und er fasse die Entscheidung des Bewertungsausschusses als persönliche Beleidigung auf. Er verlangt die völlige Revision der Entscheidung.

Als die FSK seine Forderung ablehnt, verlässt Forst erregt die Konferenz. Produzent Rolf Meyer droht damit, die Entscheidung zu übergehen und die FSK, die nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern nur aufgrund brancheninterner Absprache arbeitet, öffentlich bloßzustellen. Schließlich setzen sich die Vertreter der Filmindustrie im FSK-Hauptausschuss durch und erzwingen die Freigabe für den umstrittenen Film.

Rekordbesuch

Gleichwohl sind die meisten professionellen Kritiker am Premierentag eher enttäuscht vom filmischen Melodram, das Publikum aber goutiert den Streifen, zumal sich sehr schnell herumgesprochen hat, Hildegard Knef sei nackt zu sehen. In Frankfurt werden im Turmpalast in 20 Tagen (einer FAZ-Notiz vom 8. Februar 1951 zufolge) 73 593 Zuschauer gezählt, ein Besucherrekord für die Mainmetropole. Der Film wird deshalb um eine weitere Woche prolongiert.

Die in den nächsten Tagen und Wochen verstärkt einsetzende Agitation (insbesondere der Kirchen) gegen den Film verhilft ihm zu noch größerer Popularität; allerdings auch zu noch heftigerer Ablehnung von Seiten seiner Gegner. Es kommt zu Demonstrationen gegen die Aufführung, Pfarrer beider Konfessionen wettern von den Kanzeln gegen „das Machwerk“, der Kölner Kardinal Frings lässt einen Hirtenbrief gegen den Streifen verbreiten, auch Politiker springen auf den Zug auf und verteilten Flugblätter, auf denen zu lesen ist:

„Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?“

Donnerwetter! Das sitzt. Der Film, so heisst es heuchlerisch weiter, sei ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau.

In einem Frankfurter Kino wird Tränengas zur Explosion gebracht und Niespulver verstreut (Frankfurter Rundschau vom 28. Februar 1951), es kommt zu vorübergehenden polizeilichen Aufführungsverboten, eine Prozess- und Klagelawine bis hin zum Bundesverwaltungsgericht und Bundesgerichtshof wird losgetreten, ehe von den juristischen Gremien klargestellt wird, dass es sich bei der „Sünderin“ um Filmkunst handelt, deren Gut höher einzuschätzen ist als polizeiliche Maßnahmen jedweder Art. Trotz (oder wegen?) der massiven Ablehnung wird der Film innerhalb kurzer Zeit allein in Deutschland von über sieben Millionen Kinobesuchern gesehen.

Werner Hess 

Über Jahre hält sich hartnäckig die Annahme, dass die Ablehnung des Films in erster Linie auf die Nacktszene zurückzuführen gewesen sei. Dieser Version widerspricht Werner Hess, damals als evangelischer Pfarrer aus dem Stadtteil Ginnheim einer der Beteiligten an der ersten FSK-Ablehnung.

In einem 1984 in der Broschüre „Kino in der Stadt“ erschienenen Beitrag schreibt Werner Hess, von 1962 bis 1981 Intendant des Hessischen Rundfunks, erläuternd:

„In einer Zeit, als die Prozesse um die sogenannte ‚Euthanasie‘, die Vernichtung des ‚lebensunwerten Lebens‘, die Zeitungen füllten und immer neue Nazi-Gräuel (…) aus den Heilanstalten bekannt wurden, (war dies) Anlass genug, einstimmig die Vorführung des Films in dieser Fassung abzulehnen.“

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der von der FSK ursprünglich ab 16 Jahren freigegebene Film seit 1957 (damals trat das neue Jugendschutzgesetz in Kraft) erst ab einem Alter von 18 Jahre gesehen werde durfte; heute ist der Film ab 12 Jahren zugelassen.

Fakten 

Obwohl der eher liberale Werner Hess die tieferen politischen Aspekte für die Nichtfreigabe in den Vordergrund rückt, ist die erste FSK- Entscheidung wahrscheinlich doch auch dem Anfang der Fünfziger Jahre herrschenden Zeitgeist geschuldet. Denn zu Beginn der Adenauer-Ära ist die junge Bundesrepublik ein Staat, in dem Engstirnigkeit, Prüderie und Intoleranz das Leben überwuchern. Insofern dürfte sich diese Grundeinstellung auch im Verhalten der FSK-Ausschussmitglieder widergespiegelt haben. Hess macht gleichwohl deutlich:

„Es ging damals nicht vordringlich um die Szenen, in denen Hildegard Knef unbekleidet dem Maler (Gustav Fröhlich) Modell stand, sondern entscheidend um die Schlusssequenz, wo der nach Sehstörungen erblindete Maler von seiner Geliebten vergifteten Sekt zu trinken erhält und dann mit ihr Selbstmord begeht.“

Die Sünderin ist ein Melodram aus dem Jahr 1950, hergestellt in der Bundesrepublik Deutschland von der Jungen Film-Union und der Deutschen Styria (Produzent Helmuth Volmer) im Verleih der Herzog-Film in einer Länge von 87 Minuten. Unter der Regie von Willi Forst spielen Hildegard Knef (als Martina), Gustav Fröhlich (als Maler Alexander), Robert Meyn (als Martinas Stiefvater) und Jochen-Wolfgang Meyn (Martinas Stiefbruder).

In weiteren Rollen sind Wera Frydberg, Carl Voscherau, Aenne Bruck, Andreas Wolf, Theo Tecklenburg und Benno Gellenbeck zu sehen. Das Drehbuch stammt von Gerhard Menzel und Willi Forst nach einer Idee von Willi Forst. An der Kamera arbeitete Václav Vich, die Musik komponierte Theo Mackeben. Die deutsche Erstaufführung war am 18. Januar 1951 im Turmpalast in Frankfurt am Main.