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Zelluloidschuster lieben Krimis von Edgar Wallace

Es gibt trotz Arthur Conan Doyle, Agatha Christie und vielen anderen Autoren  wohl kaum einen Zweifel daran, dass ein gewisser Edgar Horatio Wallace als der berühmteste britische Kriminalschriftsteller in die Geschichte eingehen wird. Wallace lieferte mit seinen Vorlagen auch umfangreichen Stoff für eine in Deutschland hergestellten Serie von Fließband-Krimis.

Der Londoner „Big Ben“ war meistens dabei, als Anfang der 60er Jahre eine Welle von meist sehr kuriosen Filmen nach Vorlagen von Wallace in die bundesdeutschen Kinos schwappten. Und die Kassen klingelten kräftig. Es würde zu weit führen, hier alle Streifen aufzulisten, die in den 60er Jahren gedreht wurden. Neben den Klassikern Der Zinker oder Der Hexer klingen manche Buch- und späteren Filmtitel sehr anregend: Der Frosch mit der Maske, Die Bande des Schreckens, Die toten Augen von London, Das Geheimnis der gelben Narzissen, Das Rätsel der roten Orchidee oder Die Tür mit den sieben Schlössern. Die Inhalte waren freilich oft genug meilenweit von dem entfernt, was Wallace niedergeschrieben hatte. Gelegentlich sind die Filme in diversen Fernsehsendern zu sehen.

Es ist überliefert, dass der am 1. April 1875 geborene und im Februar 1932 verstorbene Vielschreiber keine literarischen Ambitionen verfolgte, sondern seine Arbeit nur als lukratives Mittel zum täglichen Broterwerb ansah. Denn Geld brauchte Wallace ständig. Als notorischer Spieler befand er sich meist in finanziellen Nöten, zumal er oft genug gerade erworbene Pfunde in vollen Zügen ausgab. Gezwungenermaßen musste der britische Autor beträchtliche quantitative Leistungen beim Schreiben erbringen, was der Qualität seiner Bücher eine gewisse Beliebigkeit gab. Insofern ist er auch nur schwerlich mit Christie oder Doyle auf eine Stufe zu stellen.

Eigenverlag

Sein erstes Werk (deutscher Titel: Die vier Gerechten) hatte Wallace 1905 im Eigenverlag herausgebracht, was ihn fast in die Pleite geführt hätte. Es kam indessen bald zu ersten Verfilmungen seiner weiteren Romane. Noch zu seinen Lebzeiten wurde 1931 in Deutschland sein Buch Der Zinker auf die Leinwand gebracht. Doch das waren vorerst nur sporadische Ausflüge ins Kino.

Die Hochblüte erfolgte erst zwischen Ende der 50er und Anfang der 70er Jahre, als Wallace längst nicht mehr am Leben war, und der schnulzige Heimatfilm österreichisch-deutscher Prägung sich beim hiesigen Publikum totgelaufen hatte. Da kamen die Wallace-Krimis gerade recht, um den deutschen Markt aufzumischen. Doch bei aller Trivialität seiner Geschichten, hatte Wallace den oberflächlichen Kino-Ramsch nicht verdient.

Vor allem der deutsche Produzent Horst Wendlandt und sein dänischer Kompagnon Preben Philipsen (Rialto-Film) nutzten den Ruf des britischen Schriftstellers, um Kasse zu machen, was erstaunlicherweise gut gelang. Das war ziemlich überraschend in einer Zeit, in der das Fernsehen schon längst die Macht über das Publikum gewonnen hatte und mit Straßenfegern wie Das Halstuch (1962), Tim Frazer (1963) oder Melissa (1966) die Massen vor die Bildschirme zog. Vielleicht auch nicht erstaunlich, ähnelten sich TV-Serien und Kinofilme doch sehr stark.

Kriminalfilm-Schauplatz rund um den „Big Ben“ in London. (Foto: Oliver Stör)

Fast alle Filme (obwohl sie nicht immer auf Originaltexten von Wallace beruhten) waren mehr oder weniger erfolgreich. Das Gasthaus an der Themse (Premiere am 28. September 1962 im Ufa-Pavillion in Berlin) schoss den Vogel ab, lockte rund 3,6 Millionen Zuschauer in die Lichtspielhäuser und war damit der kassenträchtigste Streifen der losen Serie. Nachdem die zumeist in Schwarz-Weiß gedrehten Filme nach den ersten Erfolgen im Vorspann mit Schüssen, blutroten Farben und den bedeutungsschwangeren Worten: „Hier spricht Edgar Wallace“ serviert wurden, erhofften sich die Produzenten beim Publikum ein leichtes Gruseln.

Die blutrünstig angelegte Einleitung erregte indessen eher Heiterkeit, waren die Filme doch eher Posse als Kriminalreißer und boten gewollt oder ungewollt lustspielartige Elemente. Ob die Macher sich selbst persiflierten wollten oder sich ungewollt in diese Rolle begaben, ist ohne Bedeutung.  Es ging nur darum, Kasse zu machen, und das schien mit kurios-obskurer Unterhaltung am ehesten garantiert zu sein. Die Wallace-Filme waren nichts anderes als die Fortsetzung der früheren Lustspiel- und Heimatfilm-Schnulzen und wurden zu Karikaturen ihrer selbst.

Eddi Arent

Das wurde auch durch die Rollenbesetzung unterstrichen. Der Blödmann vom Dienst war meistens Eddi Arent, für den Bösewicht war Klaus Kinski prädestiniert, auch wenn er wiederholt als geheimer Zuträger von Scotland Yard bei den „Guten“ wirkte, wie etwa im Gasthaus an der Themse, in dem er als Polizeispitzel Nr. 17 gemeuchelt wurde.

Joachim Fuchsberger oder Heinz Drache gaben die cleveren Ermittler (und Frauenhelden), andere große Mimen durften auch nicht fehlen (Albert Lieven, Dieter Borsche, Siegfried Schürenberg, Siegfried Lowitz, Rene Deltgen, Karin Dor, Elisabeth Flickenschildt). Die Liste ist unvollständig.

Die Szenerie war undurchsichtig und blieb nebelig trüb, nicht nur im Bild, sondern auch in den verworrenen Handlungsabläufen. Es versteht sich von selbst, dass die meisten Filme (und nicht nur aus Kostengründen) in Schwarz-Weiß abgelichtet wurden. Spätere farbige Fassungen waren bei weitem nicht so erfolgreich wie ihre dunkeldüsteren Vorgänger.

Sowohl Außen- wie auch Innenaufnahmen wurden an verschiedenen Schauplätzen und Ateliers in Deutschland gedreht, Londoner Szenen mit Tower Bridge, Themse und Big Ben wurde aus Archivmaterial zur Unterfütterung der Authentizität eingefügt. Es war nur zu verständlich, dass die deutschen Filmkritiker das Thema ignorierten. Die Streifen waren schließlich nichts anderes als Zelluloidschusterei.