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Karas und die Ballade vom bösen Gangster Harry Lime

Der Heurigen-Musiker Anton Karas, ein weitgehend unbekannter Zitherspieler aus dem Wiener Bezirk Brigittenau, schrieb 1949 für den britischen Film Der dritte Mann die Ballade vom bösen Gangster Harry Lime: eine Komposition, die den Mann mit einen Schlag in die Weltöffentlichkeit katapultierte. Anton Karas, angeblich erst zum Schluss der Wiener Außenaufnahmen vom Regisseur Carol Reed in einem Heurigen-Lokal entdeckt, ist genauso weltberühmt geworden wie der Film und viele Zuschauer (und auch ich) stellen sich die Frage, welche Resonanz Der dritte Mann ohne diese einprägsame, seltsam-musikalische Begleitung gehabt hätte, die als Harry-Lime-Thema in die Film- und Musikgeschichte eingegangen ist. Eine schlüssige Erklärung vermag niemand zu geben. 

Anton Karas, der aus der österreichischen Arbeiterklasse stammte, nutzte seinen Ruhm und die plötzliche finanzielle Unabhängigkeit und eröffnete nach vielen Tourneen 1954 in Sievering ein Heurigen-Lokal mit dem Namen „Weinschenke zum dritten Mann“. Karas betrieb das Lokal bis zu seiner Pensionierung 1966, gab es aber auf, weil er sich fast täglich mit Prominenten aller Coleur abgeben und ablichten lassen musste, die seine Musik gar nicht verstanden, sondern ihn als Dritten-Mann-Musiker bestaunten. Es war nicht seine Welt.

Der schlichte Heurigenmusiker spielte lieber vor den einfachen Menschen seiner Heimatstadt. Und eine persönliche Anmerkung sei erlaubt. Mein Schwager Franz R., der in den Fünfziger Jahren in Frankfurt in Frankfurter Weinlokalen mit seiner Zither zur Unterhaltung der Gäste aufspielte, beklagte sich eines Tages bei mir darüber, dass er immer wieder aufgefordert wurde, das berühmte Harry-Lime-Thema zu spielen. „Ich kann es bald nicht mehr hören, geschweige denn spielen“ seufzte er und in diesem Moment dachte ich, dass es Anton Karas vielleicht auch so gegangen sein könnte…

Anton Karas erobert die Welt. (Symbolfoto: Jenny Sturm/stock.adobe.com)

Neben dem eindringlichen Spiel von Karas, der ursprünglich gelernter Schlosser war, aber auch Musikakademien besucht hatte, lebt die schlichte Film-Kolportage auch von den Bildern der morbiden und zerrissenen Stadt Wien, wobei Trostlosigkeit, menschliche Einsamkeit und Melancholie über den eigentlichen Geschehnissen stehen. Die Arbeit des Kameramannes Robert Krasker, der zu Recht mit einem Oscar belohnt wurde, erreicht mit wahrhaft „schrägen“ Bildern und den Licht- und Schattenspielen eine eigenartig authentische Wirkung. Besonders beeindruckend jene Szenen, in der ein alter Mann durch die nächtliche Stadt zieht, um Luftballons zu verkaufen…

Harry Limes vorgetäuschter Tod, ein gefälschter Pass seiner Freundin (Alida Valli) und der Auftritt des naiven Western-Schreibers Holly Martins (Joseph Cotten) sind nur Staffage für das in Trümmern liegende Nachkriegswien, dass  Esprit durch eine Schar österreichischer und deutscher Schauspieler (Hedwig Bleibtreu, Annie Rosar, Siegfried Breuer, Paul Hörbiger, Ernst Deutsch, Erich Ponto) erhält. Aufnahmen aus Abwasserkanälen und dem Riesenrad des Praters geben Regisseur Carol Reed die Möglichkeit, dem Film einen eigenwilligen Stempel aufzudrücken.

Großartiges Finale 

Die Schlussszene auf dem Wiener Zentralfriedhof zeigt die Handschriften der Künstler Reed und Krasker in beeindruckender Weise. In einer kargen Einstellung von über einer Minute geht die Hauptdarstellerin Alida Valli an Joseph Cotten vorbei, ohne ihn auf dem endlos langen Weg zwischen den kahlen Bäumen mit den lautlos herabfallenden Blättern eines Blickes zu würdigen; sie drückt ihm ihre Verachtung für den Verrat an seinem Freund aus. Es sind 66 endlos scheinende Sekunden ohne Schnitt, ohne  Kamerabewegung und ohne Dialog, aber eindrucksvoll untermalt mit Zitherklängen von Anton Karas. Diese Szene ist zu einem Klassiker der Filmgeschichte geworden. Der Exzentriker Orson Welles, Schöpfer von Citizen Kane, der bei den Aufnahmen als Zuschauer anwesend war, soll später neidvoll gesagt haben, er hätte sich gewünscht, eine solch geniale Einstellung selbst „erfunden“ zu haben.

Das Filmprogramm. (Foto: Filmverlag Unucka/Grafik: Signale)

Obwohl der Schwarzweiss-Streifen schon über 70 Jahre alt ist, hat er für mich nichts von seiner Faszination eingebüsst. Auch wenn es sich vordergründig „nur“ um einen Kriminalreißer handelt, in dem der skrupellose Dealer Harry Lime verunreinigtes Penicillin verschiebt, spiegelt sich doch die politische Situation der damaligen Zeit in vielen Szenen wider. Die Konfrontation der politisch-militärischen Ost-West-Blöcke in Europa, der drohende Korea-Krieg im Fernen Osten werfen ihre Schatten voraus. Deshalb ist auch dieser Thriller nicht frei von Klischees.

Kalter Krieg auch auf Zelluloid. Das kommt zum Ausdruck, wenn die durch Major Calloway (Trevor Howard) repräsentierten Briten in der Viersektoren-Stadt Wien als hilfsbereite und sympathische Menschen auftreten, Offiziere und Soldaten der UdSSR dagegen als eher zwielichtige Gesellen, die dem Gangster und Mörder Harry Lime in ihrem Sektor Unterschlupf gewähren und seine kriminellen Machenschaften schützen. Abgesehen von diesen Sichtweisen und manchen Filmfehlern bleibt der Streifen eine Arbeit, in der Musik und Handlung zu einem Kunstwerk verschmelzen.

Daten zum Film

Der dritte Mann mit dem gleichnamigen Originaltitel The Third Man ist ein englischer Film der London-Film aus dem Jahr 1949. Produzent war Alexander Korda (in Zusammenarbeit mit dem Amerikaner David O. Selznick), technisch unterstützt wurde die Herstellung durch die Wien-Film. Unter der Regie von Carol Reed treten Joseph Cotten (als amerikanischer Schriftsteller Holly Martins), Orson Welles (als Schwarzmarkt-Schieber Harry Lime), Alida Valli (als dessen Freundin Anna Schmidt), Trevor Howard (als britischer Major Calloway) in Erscheinung.

Orson Welles als Harry Lime. (Fotos: Filmverlag Unucka)

Weitere Mitwirkende sind Bernhard Lee, Paul Hörbiger, Annie Rosar, Ernst Deutsch, Erich Ponto, Siegfried Breuer und Hedwig Bleibtreu. – Deutsche Stimmen: Wolfgang Lukschy (Holly Martins), Friedrich Joloff (Orson Welles), Elisabeth Ried (Alida Valli). – Das Drehbuch stammt von Graham Greene nach einer eigenen Vorlage. – Kamera: Robert Krasker. – Musik: Anton Karas. – Erstaufführungen: 31. August 1949 (England), 6. Januar 1950 (Bundesrepublik Deutschland), 10. März 1950 (Österreich). Frankfurter Start am 12. Januar 1950 im Filmpalast.


PINNWAND: Zusatzquellen u.a. Filmverlag Christian Unucka.  – Alexander Glück: „Auf den Spuren des Dritten Mannes in Wien“.  (Pichler-Verlag) – Brigitte Timmermann: „Der dritte Mann“.  (Czernien-Verlag).