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Donna Leon entdeckt Brunetti am Opernhaus in Venedig

Jedes Jahr erscheint im Frühsommer ein Kriminalroman der lange in Venedig lebenden Schriftstellerin Donna Leon, die neuerdings in der Schweiz wohnt. Hauptfigur ist der venezianische Commisario Guido Brunetti, der sich als redliche Haut mit Kriminalität und Korruption in der von Kanälen und Lagunen durchzogenen, morbiden Stadt beschäftigen muss. Band 32 ist im Mai 2023 in Deutschland erschienen und trägt den Titel: Wie die Saat, so die Ernte.

Venedig bildet seit 30 Jahren mit seinen engen Gassen, den prächtigen Palästen, den Kanälen und den Gondolieres einen funkelnden Hintergrund für die spannenden Fälle des sympathischen, aber auch unbequemen Commissarios. Guido Brunetti schätzt guten Wein und mediterranes Essen; er ist anständig und humorvoll, verzweifelt indessen an seiner korrupten Umwelt. 

Innerhalb seiner Familie kann Brunetti auf die intelligente Ehefrau Paola – sie ist Dozentin für englische Sprache – sowie auf seine Tochter Chiara und Sohn Raffi zählen. Beruflich gibt Brunetti sein Bestes, um Verbrecher jeder Art zu überführen. Die bunte Palette reicht von einfachen Mord und Totschlag bis hinein in die feinsten Verästelungen von Korruption und Wirtschaftskriminalität.

Die Schriftstellerin selbst sagte über ihre erfolgreiche Figur folgendes:

Ich kann nicht behaupten, dass Brunetti eine Erfindung von mir ist, es kommt der Wahrheit viel näher zu sagen, dass ich ihn eines Tages entdeckte, während er hinter dem Opernhaus ‚La Fenice‘ in vollendeter Gestalt aus dem Polizeiboot stieg.“

Dieser Guido Brunetti ist bei seinen Ermittlungen nicht frei von Zweifeln, zumal seine Frau aus dem adligen Haus des Conte Falier stammt, der in Finanzgeschäfte involviert ist, die auch nicht immer im Rahmen der Gesetze zu verlaufen scheinen. Auch das berufliche Umfeld des Commissarios ist schillernd. Alle Protagonisten in den hintergründigen Geschichten sind Charaktere von besonderem Zuschnitt. 

Donna Leon bei einer Lesung im Berliner Schillertheater. (Bildrechte: Imago/BriganiArt)

Für ihre schriftstellerische Arbeit erhielt Donna Leon von der Kritik außergewöhnlich gute Beurteilungen. Stellvertretend für viel andere sei hier die Londoner Zeitung „The Times“ zitiert, die zu dem Urteil kommt:

„Donna Leon hat ein wundervolles Gespür für den morbiden Charme dieser magischen Stadt.

Donna Leon (geboren am 28. September 1942 in Montclair (New Jersey) lebte viele Jahre in Venedig, jetzt in der Schweiz, und schreibt ihre Romane in englisch-amerikanisch. In den Büchern wird sogar eigens darauf hingewiesen, dass die Texte „aus dem Amerikanischen“ übersetzt sind. Nach dem Studium in den USA und Italien lehrte sie Englisch und englische Literatur. Nach Wikipedia-Informationen arbeitete sie als Reisebegleiterin in Rom, als Werbetexterin in London, später unterrichtete sie an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran (bis 1979), in China und neun Monate in Saudi-Arabien. Von 1981 bis 1995 war sie an der Außenstelle der Universität Maryland auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Vicenza tätig. Das erste Buch über den Commissario veröffentlichte Donna Leon 1992 und seitdem reiht sich ein Fall an den anderen: es wurde eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. 

Wer über die Romane von Donna Leon schreibt, muss sich zwangsläufig mit der daraus entstandenen TV-Serie beschäftigen. Viele Brunetti-Romane sind für das Fernsehen verfilmt worden. In den ersten (nicht chronologisch produzierten) Adaptionen gab Joachim Kròl den Commissario, danach übernahm Uwe Kockisch (und aus meiner Sicht viel überzeugender) die Rolle des Ermittlers. Seine Ehefrau wird von Julia Jäger dargestellt (zuvor Barbara Auer), der Vice-Questore Patta findet in Michael Degen einen herausragenden Mimen, Sergeante (und später Inspektore) Vianello wird von Karl Fischer gespielt und die Rolle der Sekretärin Elettra ist Annett Renneberg wie auf den Leib geschneidert.

Wundervolle Figuren

Was sind das für wundervolle Figuren. Wie in den Romanen auch in den Filmen. Der aus Sizilien stammende Giuseppe Patta als Vorgesetzter legt allerhöchsten Wert auf den Titel Vice-Questore, pflegt einen hochtrabenden Stil und etliche Manieriertheiten, ertrinkt förmlich in seiner Eitelkeit und ist in erster Linie an intensiven, persönlichen Kontakten zu den Mächtigen der Stadt interessiert. Ein Strippenzieher, der allerdings selbst an den Strippen hängt, sich gleichwohl aber auch gelegentlich auf seine Ideale als Polizist besinnt. 

Die berühmte Rialto-Brücke in Venedig. (Foto: iStock.com/ Eloi Omella)

Der gewissenhafte Inspektore Vianello ist nicht nur ein uniformierter Kollege, sondern ein eher praktisch denkender Mann, der im Laufe der Zeit zu einem Freund Brunettis geworden ist. Die anmutig-charmante Sekretärin Elettra Zorzi verfügt über ein hohes Maß an Kompetenz in Sachen Computer-Hacking und macht sich unter dem Motto: „Wir sind die Guten“ einen Spaß daraus, ihr auf diese Weise illegal errungenes Wissen mit Brunetti zu teilen, dient es doch ihrer Meinung nach der Aufklärung von Verbrechen: bei genauerem Hinsehen eine höchst zweifelhafte Methode, die Brunetti zwar mit einem Stirnrunzeln verfolgt, gleichwohl aber auch trotz seines Wegsehens gerne nutzt. Allen Beteiligten gelingt es vorzüglich, die Figuren der Romane in den Fernseh-Adaptionen lebendig werden zu lassen.

Ende einer Fernseh-Reihe

Im November 2019 gaben ARD und die Tochtergesellschaft Degeto bekannt, die Fernsehreihe in Absprache mit Donna Leon nicht mehr fortzusetzen. Gründe wurden damals nicht genannt, doch Uwe Kockisch war 2020 immerhin 76 Jahre alt geworden, der 2022 verstorbene Vize-Questore Michael Degen war zu jeder Zeit schon 88. Die Rollenbilder waren nicht mehr stimmig, und eine Neubesetzung dieser zentralen Figuren, verbot sich fast von selbst. Denn für die Zuschauer waren aus Kockisch und Degen längst Brunetti und Patta geworden. Wer die Romane las, hatte immer ihre Bilder vor Augen. In zahlreichen Wiederholungen sind sie immer noch auf dem Bildschirmen präsent.


PINNWAND. Die deutschen Titel (alle im Diogenes-Verlag Zürich) in der chronologischen Reihenfolge (1. bis 32. Fall) lauten: Venezianisches Finale – Endstation Venedig –  Venezianische Scharade –  Aqua alta – Sanft entschlafen – Nobilità – In Sachen Signora Brunetti – Feine Freunde – Das Gesetz der Lagune – Die dunkle Seite der Serenissima – Verschwiegen Kanäle – Beweise, dass es böse ist – Blutige Steine – Wie durch ein dunkles Glas – Lasset die Kinder zu mir kommen – Das Mädchen seiner Träume – Schöner Schein – Tierische Profite – Auf Treu und Glauben – Reiches Erbe – Das Goldene Ei – Tod zwischen den Zeilen – Endlich mein – Ewige Jugend – Stille Wasser – Heimliche Versuchung – Ein Sohn ist uns gegeben  – Geheime Quellen – Flüchtiges Begehren – Milde Gaben – Wie die Saat, so die Ernte (seit Ende Mai 2023 im Handel)

Letztes Update:  Mai 2023