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Reise

Über Rosental und Schipka-Pass nach Veliko Tarnovo

Die Urlauber-Hochburgen Sonnenstrand mit Nessebar sowie Goldstrand und Albena, habe ich mit der Familie schon in den 70er und 80er Jahren als Tourist im Urlaub kennen  gelernt, auch die quirlig-pulsierende Hauptstadt Sofia mit ihren vielen kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten stand aus beruflichen Gründen mehrmals auf meinem Terminkalender. Doch es geht hier nicht um Badeorte oder Sofia, vielmehr will ich meinen alten Freund Petar T. mit dem Auto ins Landesinnere begleiten. Ziel ist Veliko Tarnovo, die frühere Hauptstadt des Landes, auf halbem Weg zwischen Sofia und dem Schwarzen Meer.

In der Nähe des Sofioter Flughafens biegen wir auf die Nationalstraße 6 in Richtung Osten ab, passieren Pelin, Mirkovo, Pirdop und Sopot. Nach etwa 120 Kilometern erreichen wir Karlovo, wo das berühmte Rosental beginnt, das sich bis über Kazanlak hinaus hinzieht. Im Vorbeifahren erzählt mir Petar, dass Rosenöl und Rosenwasser aus den Blütenblättern destilliert wird, das dann überwiegend bei der Herstellung von Parfümen verwendet wird. Um ein Liter Rosenöl zu gewinnen, seien dreieinhalb bis vier Tonnen Blätter notwendig. 

Dieses Pflücken der Blätter sei Knochenarbeit und habe mit Romantik nichts zu tun, wie es so oft auf Fotos zu sehen sei, die meist von der Tourismusbranche verbreitet würden. Gepflückt werde anders als auf den meisten Bildern ganz früh am Morgen, wenn der Tau noch auf den Blättern hänge. Nur dann sei beim Destillieren ein optimale Ergebnis zu erreichen. Immerhin kämen aber rund siebzig Prozent der Weltproduktion aus Bulgarien.

Rosenfelder zwischen Karlovo und Kazanlak. (Foto: Clipdealer)

Petar fährt weiter, aber nicht bis zum Abzweig der Nationalstraße 5 nahe Kazanlak, sondern er nimmt eine Abkürzung über eine Nebenstraße, die uns nach wenigen Kilometern nach Schipka bringt, einem kleinen Ort am Fuß des Schipka-Passes. Diesen Pass habe ich vor einigen Jahren im Rahmen einer Motorsport-Veranstaltung bereits zweimal in Süd-Nord-Richtung überfahren. Er ist mit seinen 1185 Metern nicht gerade hoch zu nennen, gleichwohl aber die höchste Passage Bulgariens, dessen Landesgrenze im Norden über fast 500 Kilometer von der Donau gebildet wird. Im Süden beginnt der Anstieg etwas außerhalb von Kazanlak, im Norden endet die Straße bei Gabrovo. Der Pass über das Balkangebirge stellt an den Autofahrer keine besonderen Anforderungen, es gibt wenig enge Kehren, oft zieht sich die Straße in einer weitläufigen Schlangenlinie bergwärts (und auch wieder talwärts).

Über den Pass nach Etara

Dem Autofahrer bietet der Schipka-Pass aber bedeutende Sehenswürdigkeiten des Landes. Man muss sich nur die Zeit nehmen, um anzuhalten, und um sich umzuschauen. Von Parkplatz aus führen eine schmale Straße und ein Wanderweg zum Schipka-Denkmal. Wir fahren mit dem Auto und kommen nach wenigen Minuten am 31 Meter hohe Monument an, das ausschließlich durch Spenden der Bevölkerung finanziert und am 26. August 1934 eingeweiht wurde.

Das Denkmal am Schipka-Pass. (Foto: Clipdealer)

Wir umrunden den steinernen Koloss, und ich frage Petar, was der Grund für den Bau des Denkmals gewesen ist. Wie so oft , oder fast immer, ist es Erinnerung an ein blutig-kriegerisches Ereignis. Petar erzählt fast beiläufig über die Schlacht, die im Russisch-Osmanischen Krieg 1878 tobte:

„Auf diesem Berg wurde der Kampf zwischen Russen und Türken ausgefochten, dabei wurde die gesamte türkische Armee von den Russen gefangen genommen. Für uns Bulgaren war es die Befreiung vom türkischen Joch, und es erklärt auch, warum die meisten Bulgaren noch heute ein gutes Verhältnis zu Russland haben.“ 

Wir kehren auf die Straße zurück, und lassen das Auto gemächlich abwärts rollen. Kurz vor Gabrovo biegen wir rechts von der Pass-Strasse ab, und nähern uns dem ethnographischen Komplex „Etara“, der 1964 ins Leben gerufen und durch eine Erklärung der damaligen kommunistischen Regierung zum Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung erklärt wurde. 

Wer dieses Etara besichtigt, sollte eine wichtige Regel beachten. Das Schuhwerk des Besuchers muss solide sein, denn alle Wege und Straßen sind sehr „grobschlächtig“ gepflastert. Eine junge Frau, die eher hochhackig daherkam, musste diesen Leichtsinn vor unseren Augen mit einem abgebrochenen Absatz bezahlen.

Bunte Welt

Die Szenerie in dem Museumsstädtchen ist faszinierend. Es gibt Häuser mit verschiedenen Werkstätten, Wassermühlen sind zu sehen, eine Walkmühle, ein Schleifstein. Auf der »Hauptstrasse« stehen 16 Häuser, die alle besichtigt werden können. Es sind fast exakte Kopien von Gebäuden, die früher in Gabrovo und Umgebung standen. Petar und ich schauen den Handwerkern bei ihrer Arbeit zu. Wir erleben, wie Glocken gegossen werden, sehen Töpfer bei ihrer Arbeit, beobachten Kürschner, schauen einem Kupferschmied über die Schulter. Wohin das Auge schweift, ist Interessantes zu entdecken. Antike Webstühle, vorsintflutliche Backstuben, Spinnräder, alte Pferdefuhrwerke, ein Sägewerk und die Erzeugen eines Flötenbauers. 

Kleinere Erzeugnisse können sofort gekauft und mitgenommen werden. Die im Land weit verbreiteten Hirtenflaschen, Teller, Eierbecher oder Schmuckkästchen finden Abnehmer, auch wenn es längst keine Volkskunst mehr ist, die hier feilgeboten wird, sondern industriell angefertigte Massenprodukte. Es fehlt auch nicht an einigen eher kitschigen Gegenständen, angefangen von überbunten Ansichtskarten bis zu anderem Folklore-Tand.

Alte Hauptstadt 

Wir haben Veliko Tarnovo erreicht, eine der ältesten Städte Bulgariens, die auch schon Hauptstadt sowie kultureller und geistiger Mittelpunkt Bulgariens war. Wir haben nicht mehr genügend Zeit, um uns all die wunderschönen Gebäude anzusehen, zumal Petar das alles schon kennt. Er war schon oft in dieser Stadt, die teilweise an einem Hang liegt. Doch immerhin gehen wird noch einmal kurz durch die Altstadt.

Blick auf die alte bulgarische Hauptstadt Veliko Tarnovo. (Foto: Olena Z./stock-adobe.com)

In den Straßen sehe ich Gebäude, die schon vor über 200 Jahren erbaut wurden.  Souvenirläden und Galerien reihen sich aneinander, auch viele Museen befinden sich hier. Kein Wunder also, dass Veliko Tarnovo auch zur „Balkanhauptstadt des Kulturtourismus“ erklärt wurde und mehrmals die Medien-Auszeichnung „Die schönste Stadt Bulgariens“ erhielt. 

Die Stadt ist reich an Geschichte und Sehenswürdigkeiten und überaus attraktiv für die Besucher. Mit ihrem dominanten Kirchturm und den großen grünen Kuppeln ist die Hauptkirche Sveta Bogoroditsa in der Ulitsa Ivan Vazov schon von weitem sichtbar. In ihrem Inneren beeindrucken die uralten und daher schon etwas verblassten Wandmalereien.

Jetzt aber besuchen wir erst einmal Petars Familie, werden gastfreundlich aufgenommen, und wir laben uns mit gefüllter Paprika, Schopska-Salat, Pitka-Brot und einer großen Schüssel Joghurt mit reichlich Zucker. Ein anstrengender, aber lohnenswerter Tag neigt sich dem Ende zu.